Hot Hot Spot-On Berlin – Erster Tag

Du bist verrückt mein Kind, Du mußt nach Berlin. Wo die Verrückten sind, dort gehörst Du hin.

Aus Berlin

Was gibt es Schöneres, als an kalten Wintertagen den Sommer zurückzuholen? Mit Bildern im Kopf und auf der Festplatte, mit Gedanken und Wörtern, die aus einem sprudeln, wie das Wasser im Brunnen am Alexanderplatz. Berlin ist heiß in diesen Tagen im August, die Menschen suchen Schatten, sitzen in Cafés und genießen kühle Getränke oder Softeis. Tauben kreisen über ihren Köpfen. Die finden Abkühlung und stillen ihren Durst am Wasserspiel unter dem Fernsehturm, dem die Hitze scheinbar egal ist. Das Metall seiner Aussichtskugel glänzt gegen den azurblauen Himmel und die schon etwas abblätternde weiße Farbe strahlt wie ein Brautkleid.

Was gibt es Schöneres an diesem Sommerabend entlang der Spree zu flanieren, einen für diese Stadt typischen Biergarten zu finden und den Menschen beim Flamenco Tanz zuzuschauen. „Gestrandet an der Jannowitzbrücke“ ist der perfekte Ort dafür.

Erst wenn’s zappenduster ist, geht uns ein Licht auf. (Aus Berlin)

Leise drückt sich die Sonne hinter den Horizont. Legt ein schmeichelndes Licht über die Straßen und Häuser. Nur langsam wird diese Nacht in den nächsten Tag hinübergleiten. Berlin schläft nicht.

Wir treffen uns am Potsdamer Platz! Neun Uhr! Geladene Akkus! Leere Speicherkarten! Wasser und bequeme Schuhe! Im Fokus für die nächsten zwei Tage – das Licht. Dominic hat uns am Nachmittag davor erklärt, was wir üben werden und steigt mit uns in den tiefer liegenden U-Bahnhof. Harte Schatten – Licht – Situationen. Natürliches und künstliches Licht. Die Spannung und Vorfreude ist bei allen zu spüren.

Die Leichtigkeit des Sommers ist auch in der Dunkelheit zu sehen. „Sie trinkt im Laufen Ihren Eiskaffee, bevor die Hitze oben auf der Straße alle Eiswürfel dahinschmelzen wird.“ „Ich brauche etwas Abkühlung.“ denkt die ältere Frau, die auf ihrem Rücken eine Werbefahne für Hop-On-Hop-Off-Touren trägt. Es ist wie ein Katz und Maus Spiel mit der lieben Sonne. „Wir treffen uns in fünf Minuten am Ausgang A.“ ließt die Frau mit der roten Tasche auf ihrem Smartphone. Genau im richtigen Augenblick möchte ich sie erwischen, im kurzen Augenblick zwischen Licht und Schatten. Es glückt!

Liebe ist das Licht, das jede Dunkelheit erhellt.

Irina Rauthmann

Das nächste Ziel ist das ganze Gegenteil von Leichtigkeit. Ich kenne diesen Ort und die Ausstellung dazu. Ohne das Museum kann man dieses Denkmal für die ermordeten Juden Europas meiner Meinung nach nicht vollständig verstehen. Es hat eine Kraft, die tief ins Herz geht. Ich stehe umringt von hohen dunklen Betonstelen. Eine erdrückende Gleichzeitigkeit von Licht und Dunkelheit. Die Schatten der Vergangenheit lauern hinter jeder Ecke genau wie die Hoffnung auf eine friedvolle Zufkunft für alle Menschen. Das Licht reicht bis zum Boden und lässt einen Löwenzahn wachsen. Was für ein schönes Bild voller Zuversicht.

„Alles fließt“ – die Spree durchzieht die Stadt wie eine Lebensader. Immer wieder treffe ich auf sie und schaue den Menschen dabei zu, wie sie diesen Fluß genießen. Beim Regierungsviertel haben wir nach einer Stärkung im Biergarten genug Zeit, um das Wasser und die Gebäude in Szene zu setzen. Ich liebe es auf der großen Fußgängerbrücke zu stehen und den vorbeifahrenden Schiffen und Ausflugsbooten zuzuschauen. Die vielen Geschichten, Gedanken und Gefühle der Passagiere fließen in Sekundenschnelle an mir vorbei.

ratio et emotio Die Augen geschlossen, sehe ich Bilder meiner Vergangenheit. Höre die Musik verflossener Landschaften, genieße den Hauch der Zeit. Die Ohren abgeschaltet, die Melodie der Farben, höre die Sonnengeige spielen. Erlebe eine Welle des Lebens, des Klangs rauschender Wandel der Bilder. Den Atem angehalten, rieche ich den Duft der Zeit, den Duft des Ortes. Gestalte eine Welt der Düfte, jeder Schatten, jedes Ereignis ein Geruch des Ganzen. Öffne wieder alle Sinne; alles verwebt sich, alles fließt in einen flüchtigen Eindruck des Göttlichen. Kann Seelenfarben hören, kann das Menschsein spüren, will sehen können, die Liebe des Seins.

© Oliver Lösch

Das Licht bei der James Simon Galerie zaubert Scherenschnittschatten für mich. Sommer in seiner perfekten Art und Weise. Der Asphalt strahlt die Hitze des Tages in alle Ecken des Gebäudes. Man wünscht sich einen Regenschauer herbei, der den Staub von den Straßen wäscht und die Luft erfrischt. Drei Frauen aus Halle lassen sich auf meine Kamera ein, bevor sie zu einer Bootstour aufbrechen. Sie lachen und strahlen eine Leichtigkeit aus, die ich im Südwesten der Republik immer vermisse. Das Mädchen aus Shanghai tanzt für uns auf den Stufen des Museums. Sie lässt der Freude freien Lauf. frei sein- in Berlin Worte mit Bedeutung.

Nur einen einzigen Schritt kostet es dich, diesen Sommer zu erleben. Geh‘ hinaus und schon bist du mittendrin in diesem Sommer!

© Irina Rauthmann

Oman – Begegnungen erwünscht

Sur – Ras Al Hadd – Jinz Beach

Mit Yoga startet sie gerne in den neuen Tag. Die Morgensonne taucht die Bergkette in wärmendes Licht. Ein majestätischer Anblick. Heute führt die Wegstrecke entlang der Küstenlinie weiter nach Südosten. In Sur macht sie am Souq Halt, der zur Mittagszeit nur Stille und wenig geöffnete Läden zu bieten hat. Bei den Gebetsräumen für Frauen findet sich immer eine Toilette. In den Schaufenstern der engen Gassen sieht sie farbenfrohen Kleider mit viel Glanz. Die Schneiderei- und Nähkunst der Eingewanderten aus Indien ist hier sehr gefragt. Ab und zu schleicht eine Katze vorbei, die schnell wieder hinter der nächsten Ecke verschwindet.

Der Strand auf der andereren Seite ist um diese Zeit ebenso verwaist wie die engen Gassen um den Souq. Über die Hauptstraße rollen nur wenige Fahrzeuge. Sur macht Pause und alles scheint ein Nickerchen zu halten.

Die Möwen starren auf die Wellen und lassen sich den erfrischenden Wind durch die Federn wehen. Sie wird sich eine Gaststätte suchen um den aufkommenden Hunger zu stillen. In der Nähe findet sie das Al Hawash Restaurant direkt am Strand mit einem weiten Ausblick über die Bucht von Sur. Er duftet nach gebratenem Fisch, Gewürzen und Fladenbrot, bis der in dicken Nebelschwaden angezündetet Weihrauch all diese Düfte überlagert. Vielleicht ist es ein Zeichen von Wohlstand, immer genügend Weihrauch zu besitzen.

Am Strand trifft sie eine Familie, die ihren Kindern beim Planschen im Meer zuschauen. Sie können nur ein paar Worte in ihrer Sprache. Trotzdem versteht man sich irgendwie. Gerne würde sie mit den Frauen im Oman in Kontakt kommen. Ihre Geschichten erfahren, von ihren Träumen und Sehnsüchten hören. Im Straßenbild sind sie selten allein anzutreffen, was es schwierig macht sie anzusprechen.

In Sur findet sie die letzte Dhow Manufaktur des Landes. Die ungewöhnlichen Schiffe reisten einst bis Sansibar oder Singapur, um Waren in der Welt zu verteilen. Das Museum beherbergt eine Werkstatt und eine Ausstellung zur Geschichte. Sie kann die riesigen Schiffe bestaunen, die dort zur Reparatur oder zum Bau wie gestrandete Wale hinter dem Zaun liegen. Wartend auf den Einsatz in den nahen Wellen. Die Arbeiter habe heute frei, nur wenige andere Reisende verlaufen sich auf dem großen Gelände.

Nach einer nicht allzu langen Fahrt kommt sie in Ras Al Hadd an. Der Ort liegt am östlichsten „Knick“ des Küstenverlaufs des Oman, genau dort wo sich der Golf von Oman und das Arabische Meer berühren. Wahrscheinlich habe sich die vielen Schildkröten gerade aus diesem Grund diesen Ort ausgesucht, um zur Ablage der Eier immer wieder hier hin zu schwimmen. Das Schauspiel ist immer von Mai bis September zu beobachten, da muss sie wiederkommen, irgendwann.

Ohne Hast geht der Tag seinem Ende entgegen. Die Bewohner der Stadt kommen an den Strand. Ob sie diese besondere Stunde, in der die Sonne hinter den Horizont taucht, ebenso schätzen wie sie? Der Ruf des Muezzin ist überall zu hören, hier am Wasser nur leise. Als ob er mit den Wellen aufs Meer hinaus getragen wird.

Sei hastig nie, auch wo du Hast hast; denn seine Ruhe liebt, wer Hast hasst. al-Hariri (1054 – 1122)

Vom Dach der Unterkunft aus bestaunt sie in alles Frühe den Sonnenaufgang. Sie kann nicht genug bekommen von der Kraft dieses Sterns. Sie speichert die Wärme tief im Inneren, der Sommer zu Hause ist noch in weiter Ferne. Gleich morgens macht sie sich auf, um der kleinen Stadt beim Aufwachen zu zuschauen. Und hofft auf Einblicke in den Alltag der Menschen, die hier leben.

Sie parkt das Auto vor dem kleinen Supermarkt an der Hauptstraße, um sicher zu gehen es wiederzufinden. Kauft Obst und Fladenbrot, um sich dann in den kleinen Gassen umzuschauen. Der Boden ist sandig, die Häuser nur einstöckig. Wie in eine andere Zeit versetzt. Es ist unheimlich ruhig, niemand ist unterwegs. Sie fotografiert einige der Türen, die hier mit Liebe zum Handwerk verziert sind. Eine junge Frau verschwindel schnell hinter einer der mächtigen Holztüren, warte doch auf mich.

Wie aus dem Nichts stehen drei Kinder neben ihr und deuten mit ihren Händen ihnen zu folgen. Sie führen sie zu den beiden Pferden, die ganz in der Nähe in einem kleinen Gatter untergestellt sind. Neugierug bestaunen sie die Bilder auf dem Telefon, die sie ihnen zeigt. Jetzt ist das Eis gebrochen, sie soll mitkommen, der Vater wartet schon an der Tür. Mit einem kleinen Hai in der Hand, den der Sohn gerade aus dem Meer gezogen hat. Abendessen für die Familie. Hinter der Tür öffnet sich ein Innenhof, der zum Teil überdacht ist. Hier sitzen drei Frauen auf dem Boden und laden sie zu Kaffee und Datteln ein. Sie sind verschleiert und erst als der Hausherr die Runde verlässt zeigen auch sie ihre Gesichter. Lächeln sie an und freuen sich über den Gast, den der Zufall ihnen heute ins Haus gebracht hat. Nur ein paar Brocken in englisch kann sie mit der größeren Tochter austauschen, die versucht zu übersetzen. Die Kommunikation funktioniert über Blicke und Gesten trotzdem irgendwie.

Unbedingt wollen die Kinder sie zum Auto begleiten. Die zuvor gekauften Äpfel verschenkt sie gerne, das kleinste Mädchen beißt sofort hinein.

Die Tage am Meer zu verbringen ist ein großes Geschenk auf dieser Reise und dank des Allradfahrzeugs kommt sie an Strände, die nicht für alle zugänglich sind. Der Al Jinz Strand ist zu dieser Jahreszeit noch zugänglich. Erst wenn die Schildkröten wieder zur Eiablage an Land kommen, wird dieser gesperrt und nur geführte Touren sind dann noch möglich.

Außer drei Fischern ist an diesem Tag keiner dort. Das Wasser ist glasklar, erfrischend und strahlt in allen Blau- und Grüntönen mit jeder Welle anders. Die Männer sind zum Arbeiten hier und zeigen auf die roten Fahnen draußen im Wasser. Dort sind die Netze, die sie für den Fang ausgelegt haben. Mit einem Motorboot fahren zwei der Männer hinaus und schaffen es zu Dritt gerade so, das Boot über die erste Welle zu bringen.

Der Bootsbesitzer ist interessiert an einem Gespräch und sie tauschen einige Geschichten über ihre so unterschiedlichen Länder aus. Die Liebe zum Meer und der Natur verbindet sie trotz der unterschiedlichen Bedeutung ihres Aufenthaltes dort. Für ihn ist es der Arbeitsplatz. Für sie ein Sehnsuchtsort mit langer Anreise. Viele der Menschen, die sie im Oman trifft, kennen Orte in ihrem Heimatland und natürlich die Fußballclubs.

Bevor es am nächsten Tag weiter geht, nutzt sie den frühen Morgen noch einmal für einen Ausflug an den Fischerstrand direkt am Ort. Seltsam ruhig ist es dort, niemand ist um diese Zeit hier, was wohl bedeutet, dass der Fang schon eingeholt wurde oder die Netze leer blieben. Viele Hütten in den unterschiedlichsten Ausfertigungen stehen über den hinteren Bereich verstreut. Manche sehen ziemlich abenteierlich aus, zusammen genagelt aus Brettern und Treibgut. Netze und Behälter für den Fisch sind reichlich vorhanden. Und dazwischen immer wieder kleine Plätze und Nieschen mit Matten zum Schlafen für die Fischer. Kurz bevor sie den Ort verlassen will, kommt doch noch ein Auto gefahren. Die drei Männer nehmen kurz Notiz von ihr und der Kamera, verschwinden allerdings gleich in einem der Verschläge und schließen hinter sich das Gatter. Sie wollen keinen Kontakt und das respektiert sie.

Zumeist liegt das ganze Gewicht der Welt im winzigen Augenblick der Begegnung. – Roman Pfüller

Meet Me In Dresden

Wo ihr auch seid Ob in Hamburg oder Gießen: Leute, lasst euch nicht verdrießen! Ob in Dresden oder Zossen: Macht’s ebenso, seid unverdrossen! Wo ihr auch seid in Ost und West: Das Leben sei ein großes Fest!

Wolfgang Lörzer

Die Straßenfotografenszene ruft nach Dresden – zum Meet & Street. Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr kann ich ein paar Tage in der Stadt verbringen und werde direkt in meine Jugend zurück katapultiert. Dresden du Schöne! Begrüßt mich erst mit Regenschauern, um dann wieder versöhnlich die Hitze in den Tag zu werfen. Ich ziehe durch die Stadtteile, laufe über und unter Brücken, an Orte die lange im Gedächtnis vergraben waren und doch sofort wieder vertraut sind. Das Rundkino – hier habe ich „Schindlers Liste“ gesehen und mit allen anderen Zuschauern geweint und das Popcorn wieder mit nach Hause genommen. Am Neumarkt ist Weinfest, hier stand im Sommer vor zwanzig Jahren das EPlus Zelt, in dem ich mein erstes Handy kaufte. Im Bäzwi (Bärenzwinger) wurde getanzt und an den Elbwiesen so mancher Kuss ausgetauscht. Du sprühst vor Leben, Kultur und hast deinen Charme aus DDR Zeiten bewahrt. Die Plattenbauten, Springbrunnen und die opulenten Wandbilder sind heute Kult und laden zum Entdecken ein. Es ist nicht schwer sich immer wieder in dich zu verlieben. Ich wäre gerne länger geblieben! Wiederkommen und bleiben ist eine schöne Idee.

Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfernung vom Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten und leichtesten, wenn auch am leisesten vor sich.

Wilhelm von Humboldt

Am Abend Weißt du denn – wenn auf Baum und Strauch Das Astwerk zittert und sich sträubt, Und wenn der leicht gewellte Rauch An einer Wetterwand zerstäubt – Ein scheuer Vogel ohne Laut An dir vorbei die Flügel schlägt, Und Wolke sich an Wolke baut – Wohin dein wilder Wunsch dich trägt? Weißt du denn, wenn nun alle Welt Sich eng an Hof und Heimstatt schmiegt, Und deine Sehnsucht dich befällt, – Wo deine eigne Heimat liegt?

Hedwig Lachmann

Ich mochte schon immer Orte, die nicht perfekt sind, die mit einer gewisses spröden Nostalgie an jeder Ecke kleine Geschichten erzählen. Typen, die sich in diesen Orten verstecken oder sich zur Schau stellen. Und ich mag tatsächlich auch die stillen Momente, die oft in den großen Städten nur in den Seitenstraßen oder an Regentagen zu finden sind. Der Sonntag ließ die Sonne in die Stadt, den Trubel, die Musik, das Klappern der Pferdekutschen in der Altstadt, die Freude sich mit Freundinnen treffen zu können und einen unbeschwerten Tag zu verbringen. Ich weiß um dieses Glück und schätze es innig.

Augen beben leicht vor Sehnsucht Haut fleht um Geborgenheit Herzen – Heimweh nach Vertrauen wollen nur noch Seele sein

Hans-Christoph Neuert

Im Wort – Fremd – bin ich – Hier – und dort – Daheim – bin ich – Nur – im Wort.

Michael Sebörk

Denn wer liebt, der ist voller Sehnsucht und findet nie ruhigen Schlaf, sondern zählt und berechnet die ganze Nacht hindurch die Tage, die da kommen und gehen.

Chrétien de Troyes

Als der Tag dem Ende und einem Abschied entgegenfließt, die Farben weich und warm werden, kann ich mich gut damit versöhnen. Wer geht, kommt wieder. Wer wiederkommt, geht. Noch ist das Bleiben nicht ausgehandelt, noch ist die Zeit nicht gekommen. Mein ruheloses Herz findet in den Menschen Halt, nicht an den Orten. Mein Haus steht offen, wer mag kann kommen, gehen oder eine Weile bleiben.

Wichtiger, als wohin du kommst, ist, als wer du kommst; daher dürfen wir unser Herz an keinen Ort hängen.

Lucius Annaeus Seneca

Tschüssi du Schöne!

Oman – zwischen Meer und Berg

Al Bustan – Dibab – Hawiyyat Nadschm – Wadi Shab

Drei primitive Dinge genügen mir zum Leben: Etwas Wasser zum Trinken, etwas Brot zum Essen und ein angewinkelter Arm zum Schlafen.

Konfuzius

Sie liebt das Meer, sie vergöttert die Berge. Wenn sie doch nur beides gleichzeitig erleben könnte. Hier im Nordosten des Omans ist das möglich, denn fast überall ragen die Berge bis ans Meer oder sind nur durch die Straßen oder den Dörfern getrennt. Zwei Rial reicht sie dem Mann, der versteckt in seinem Kassenhäuschen sitzt, ins Fenster hinein. Für die nächsten Stunden genießt sie die Bucht von Al Bustan mit schwimmen im glasklaren lauwarmen Wasser. Der kleine Strandclub hat scheinbar seine gloreichen Tage längst hinter sich. Wir im Dornröschenschlaf liegt er unsichtbar am Hang der Straße. Verwitterte Sonnenschirme, abgeblätterter Putz an den flachen Gebäuden, verlassene Boote. An der blau gefließten Strandbar wird sie nichts kaufen können. Die gestapelte Plastikstühle scheinen das Meer zu betrachten.

In Sichtweite ragt das riesige Luxushotel Shangri-La Barr Al Jissah hinter den zerklüfteten Felsen im Meer hervor. Ein spannender Gegensatz zu dieser Kulisse, wie sie bei einem kleinen Rundgang über das Gelände feststellt. Hier ist kein Luxus, dafür vergangener Charme zu finden. Das mögen nur wenige an diesem Tag und so herrsch Ruhe in der Bucht, nur die Wellen sind zu hören und aus der Ferne leise Musik.

Geh langsam. Du kommst doch immer wieder nur zu dir selbst.

Aus dem Orient

Die gut ausgebaute Autobahn schlängelt sich bergauf und bergab durch die scharfkantige Schroffheit des Hadschar Gebirges. Strommasten durchziehen jeden Winkel und wirken in dieser Menschenleere surreal auf sie. Ein Adler zieht einsam seine Runden am blauen Himmel. In der Ferne erkennt sie zwischen den Felsen immer wieder Siedlungen. Nach drei Stunden erreicht sie zur Mittagshitze das kleine Dorf Dibab. Weiß getünchte Häuser vor Bergmassiven, der Minimarkt und die Moscheen stehen wie verlassen am Rand. Die nächste Tankstelle liegt acht Kilometer außerhalb. Ein Wadi (Flusslauf aus den Bergen ) teilt die Stadt und ergießt sich, wenn es Regen gibt, ins Meer. Die Menschen hier leben zumeist vom Fischfang, der Ziegenzucht und einige Wenige vom Tourismus.

Navid begrüßt sie mit der hier üblichen unaufdringlichen herzlichen Gastfreundlichkeit und zeigt ihr die Unterkunft. Als er das Tor schließt herrscht Stille. Nur die schwirrenden Schwalben und den rauschenden Wind in den Palmen nimmt sie wahr – herrlich. Solche Stille gibt es sonst selten in ihrem Leben, das sollte sie ändern.

Bevor die Sonne untergeht macht sie sich zum Naturschaupiel „Hawiyyat Nadschm“ auf. Diese markante Sinkhöhle ist mit Wasser gefüllt und zieht Schaulustige an, auch um darin zu schwimmen. Vom Rand aus kann sie zwanzig Meter tief ins das Bimmah Sinkhole schauen. Viele der Besucher haben sich tief unten auf den Felsen am Wasserrand verteilt, lassen sich ihre Füße von kleinen Fischen anknabbern. Einige schwimmen und das Jauchzen hallt bis nach oben. Sie steigt die lange Treppe hinunter und betrachtet voller Genuss die kleinen menschlichen Szenen. Findet Momente, die sie mit der Kamera festhält. Auf kleinstem Raum vermischen sich hier die verschiedensten Kulturen, Sprachen, Generationen und alle teilen dieses Erlebniss für diese Zeit.

Als sie aus dem Krater nach oben steigt fällt ihr Blick auf eine komplett in Schwarz verhüllte Frau. Weder ihre Augen noch ihre Hände kann sie erkennen. Die Frau hat ihren Mann, der den kleinen Sohn auf dem Arm hält, neben sich. Sie hält ein Smartphone in der Hand und macht Fotos. Wird sie sich die Bilder zu Hause ganz genau anschauen? Wie fühlt es sich wohl an, alles abgedunkelt zu sehen? Macht sie es freiwillig oder aus Liebe zu ihrem Mann oder ihrem Gott? Eine Frau ohne Gesicht ist für ihre eigene Weltanschauung schwer zu ertragen. Sie wird die Einzige auf dieser Reise bleiben, die sie nicht sehen kann. Sie wird ihr in Erinnerung bleiben.

Wenn du dein ganzes Leben lang einsammelst, wann willst du das Gesammelte genießen?

»Alf Laila Wa Laila«

Beim Anblick der Küstenline erscheint es ihr, als ob die Berge sich ins Meer stürzen wollten. Zwischen den steilen Felsplateos liegen kleine Buchten, in die das türkisfarbene Wasser Wellen trägt. Sie möchte hier noch eine Stunde alles einsammeln. Den salzigen Geruch, die kühler werdende Luft, das Geräusch des arabischen Meeres. Erst beim Näherkommen bemerkt sie den Mann, der auf einem der Felsen hockt und sich kurz zum Gruß umdreht. Er wirft eine fast unsichtbare Angelschnur ins Wasser und scheint sich in seinem Tun mit der beruhigenden Kulisse zu verbinden.

Den Zauber der frühen Morgenstunden will sie sich am nächten Tag nicht entgehen lassen. Vor dem Tor hört sie das leise Rascheln der Ziegen, die über Nacht im Gatter bleiben müssen. Sie knabbern am Stroh und den Ästen, bevor sie frei gelassen werden und sich in der Umgebung Futter suchen dürfen. Neugierig schauen sie nach oben, als sie an den Zaun tritt. Ein Esel streift an der Hauswand vorbei. Schnell wird die Sonne nach oben kommen. Sie macht sich auf den Weg an den Strand. Vielleicht kommen Fischer mit ihren Booten und dem Fang zurück.

Sie kommt sich vor wie in der Filmkulisse eines Westerns. Kein Mensch ist unterwegs, nur ein Auto wirbelt Staub auf, als es ihren Weg kreuzt. Der Friseurladen steht verlassen Mitten im Nichts. Erst am Abend wird sie sehen, dass dieser tatsächlich männliche Kundschaft bedient. In der Ferne sieht sie vor einer kleinen Behausung zwei Frauen und einen Mann auf dem Boden sitzten. Sie scheinen gerade mit dem Frühstück fertig zu sein. Die asphaltierte Straße wird zur Sandpiste. Ausladende Bäume spenden den Tieren Schatten.

Das Licht am Strand hat eine Helligkeit, die alles in ihr strahlen lässt. Statt Fischern sind lediglich die Boot im Sand aufgereiht. Mit Blick auf das Wasser, als ob sie Ausschau nach den besten Fanggründen halten.

Navid bringt ein so reichhaltiges Frühstück, dass es sogar für das Abendessen noch reicht. Gelben Dal, gebackene Kirchererbsen, Humus, Fladenbrote, gekochte Eier, Masala-Omlett und eine ganze Kanne indischen Tee. Abdullah hat den frühen Tag zum Kochen genutzt.

Im Wadi Shab hat der Fluss einen tiefen Canyon in die Felsen geschnitten. Die steilen Wände beeindrucken sie und die sich mit jeder Kurve des Flusses verändernden Ansichten. Am Ende der knapp zwei Kilometer langen Wanderung ist das Flussbett so tief ausgwaschen, das sogar Schwimmen möglich ist. Alleine ist sie dort nicht. Das Reisen war hier vor einigen Jahren sicher noch viel einsamer. Auf dem Weg kam ihr ein Mann mit einem Esel entgegen, der einige Säcke voller Abfall aus der Schlucht transportierte. „Seid gewahr der Gefahr.“ denkt sie. Sanfter Tourismus wäre eine Chance, dieses Paradies zu beschützen.

Der Abend beschehrt ihr die Fischer, die eines der Boot an Land ziehen. Die Netze sind leer, wahrscheinlich haben sie nur die Stellnetzte kontrolliert.

Liebe ist das friedvolle Ziehen der Wolken auf azurblauer Himmelsstraße.

Irina Rauthmann