Das Glück steckt im Detail

Ich gucke gerne aufs Detail. Detail ist für mich der Mensch.
Die Einzelschicksale sind für mich kolossal interessant.

Regine Hildebrandt

Ghim Moh ist der Name dieses Areals, 28 Blocks, ein Frischemarkt mit angeschlossener Freiluftkantine (Hawkercenter), im Stadtteil Queenstown. Sonst sind hier noch einige Schulen angesiedelt und es gibt eine Post, die nächstgelegene U-Bahnstation heißt Buona Vista. Hier wohnen keine „Ausländer“, nur Einheimische. Meinem Gefühl nach fühlen sie sich hier sehr wohl. Es ist fast alles zu Fuß erreichbar, Ärzte, Friseure, Wettbüro, ein Supermarkt und im Zentrum der Wohnblocks das Ghim Moh Freshmarket und Foodcentre. Am Morgen ist hier meistens für die älteren Anwohner der Treffpunkt. Es wird gefrühstückt, Kaffee geschlürft und es werden die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht. Karten spielen, die kleinen Enkel zum Spielplatz begleiten, den Tippschein zum Wettbüro bringen. Gemütlich haben sie es, warm und gesellig. Hier einsam zu sein ist ein Problem, das wohl eher nicht auftritt. Der Marktplatz der Glückseeligkeit – ein schöner Ort – kein Platz zum Trübsal blasen.

Nach meinem Kaffee und einem Prata zwischen den glücklich lächelnden Menschen versuchte ich mich am Einfangen der kleinen Details. Jeder kann sie finden, der nicht nur hektisch durch diese Orte in der Stadt streift.

Aller guten Dinge sind 3 Öfen.
Wäschetrockenmethode
Linker Fuß im rechten Licht
Hintereingang
Die Zweisamkeit der Stühle.
Bitte ruf an.
Aschenputtel wo bist du?
Klassisch & ökologisch
Neue Besen braucht das Land.
Zeigt her deine Füße, …
Diskolicht am Straßenrand
In der Ruhe liegt die Kraft.
Manche haben ständig den Daumen auf der Waagschale ihres Lebens.
Wachmacher immer parat.
Showroom der Kartoffelmercedese
Keine Messer in Asien
Abstand halten bitte.
Wer den Krümel nicht ehrt …
Neue Pilzsorte entdeckt.
Zusammenhalt
Zimmerpflanze abgeparkt.
Heute gab es Mengenrabatt.
Loch im Tisch ist praktisch.
Gott der Reinigung
Wunderland Amerika
Gemütlichkeit kennt ihr Grenzen.
Gegen die schwarze Haarflut gibt es hier Hilfe.
Das Ballettröckchen.
Er stellt sich einfach ins schönsten Licht.
Hausaltar und Feuerstelle gesichert.
Mangelware Zweitschuh
Bitte unbedingt nur in den Absperrungen parken!
Die asiatische Variante des „Coffee To Go“
Heute keine Zeit für Pause.
Die Abstellkammer.
Verkaufsschlager in den Tropen
Parade der stillen Frauen
Lachen mal wieder!
Goldlöckchen
Die Frisur sitzt immer.
Größter Gestank auf Erden.
James Monger is watching you!

Das Unverständliche ist die Etikette, die das Schicksal für sein Sortiment verwendet. Mit dem Unverständlichen kannst du überallhin reisen, es erklärt dir jeden Zufall, jeden Defekt, jeden Erfolg und jedes Detail des Glücks.

© Billy
Die Zukunft steht nebenan – eine von so vielen Shoppingmalls

Eine unglaublich stille Stunde

Stille kann befriedigend und gleichzeitig verstörend wirken. Ich konnte mir das passende Gefühl aussuchen an diesem letzten Tag im November 2019. Der November ist für mich gefühlt der stillste Monat im Jahr. Ich ziehe mich gerne zurück, lasse schon ein wenig das vergangene Jahr Revue passieren und fahre die Aktivitäten zurück. Melancholie spielt dabei vielleicht eine kleine Rolle. Das Wetter am 30. 11. 2019 zeigte sich von der besseren Seite, die Sonne schien und schrie geradezu „Raus mit euch!“ Wir waren zu Besuch hinter Karlsruhe, ein kleines verschlafenes Dorf am Rande der Pfalz. Keine 2000 Einwohner, katholisch geprägt, 1103 erstmalig erwähnt. Früher war das Dorf für seine Ziegeleiarbeiter und die Tabakproduktion bekannt. Letzteres ist heute noch sichtbar an den vielen Scheunen ohne Fenster, die wie auf Stelzen in luftiger Höhe gebaut wurden. Trocken, dunkel, warm sollten die Tabakblätter trocknen und lagern.

Bäckerei geschlossen

Gefühlt sind mir in dieser Stunde höchsten 10 Menschen begegnet. Eine Hundebesitzerin, ein lustig anzusehender Mann mit langem Zopf in quietschgrüner Warnweste. Ein Paar mit Kinderwagen, ein Rentner am Friedhof, drei Mädchen, die einen kleinen Flohmarktstand aufgebaut hatten und Weihnachtsdekoration verkaufen wollten. Die Leere und Stille in den Gassen und Straßen war fast unheimlich. Wohnte hier keiner? Ist es nicht gerade typisch, dass keiner unterwegs ist? Hätte ich in unserem Dorf mehr Leute getroffen? Was würde ich als junger Mensch hier machen? Was als Renter oder in meinem Alter?

Keiner holt die Angebote ins Warme.
Zugemauert mit Riss

Landflucht? Warum? Es könnte so schön sein. Der Rhein ganz nah, die große Stadt um die Ecke. Dennoch hatte ich in dieser einen Stunde das Gefühl hier stirbt etwas aus. Sollte ich im Sommer wiederkommen? Treffe ich dann auf mehr Menschen? Ich errinnere mich an die Sommer im Dorf meiner Oma. Bördeland bei Magdeburg, viel Landwirtschaft. Da war es auch ruhig an den Vormittagen, da waren alle auf dem Feld oder in der Fabrik. Trotzdem hatte ich nie dieses Gefühl hier wohnt keiner.

Kaninchenzucht ist immer noch in.

23 Vereine oder Sportgruppen gibt es hier, das ist beachtlich für dieses Dorf. Darunter eine Theatergemeinschaft, ein Männerchor, ein Faschingskomitee, Angler und Schützen fehlen ebenfalls nicht. Beim Kaninchenverein war heute nichts geboten.

Abgeriegelt
Reparaturversuch

An der Schule fuhren doch noch zwei Kinder mit dem Fahrrad vorbei. 52 Kinder werden hier von 4 Lehrerinnen unterrichtet. Gemütlich würde ich sagen. Zu den weiterführenden Schulen müssen die Kinder einen weiteren Weg in Kauf nehmen. Das Gebäude erinnerte mich an die Schulen in meiner Heimat, Beton und Mosaik war wohl im Westen wie im Osten eine beliebte Kombination. Bevor die Sonne langsam hinter den Nachbarhäusern verschwand, zog ein Vogelschwarm über den Himmel hinweg.

Mosaik
Abendlicht
Abschleppseile?
Parkplatznot kennt hier keiner.

Die Rheinregion ist bekannt für die wenigen Frosttage im Jahr und so ist es nicht verwunderlich, dass hier fast jedes Grundstück eine exotische Pflanze sein Eigen nennt. Ganze Bananenplantagen, Palmen auch im Winter unverpackt oder zumindest ein stattlicher Kaktus schmücken die Vorgärten. Da erscheint der kahle Weinstock etwas ins Hintertreffen zu geraten.

Achtung der piekst.
Palme an Tür
Fast wie im Paradiesgarten
Der Brezelbäcker setzt auf Wein.

Der Tabakanbau in Deutschland hat zwar eine über 400 Jahre alte Tradition vorzuweisen, unter den deutschen Klimaverhältnissen ist er jedoch eine Sonderkultur in pflanzenbaulicher Grenzlage. Hohe Nachfrage nach Tabakprodukten, Devisenmangel und Einfuhrbeschränkungen des Staates, sowie hohe Flächen- und ausreichende Arbeitsproduktivität für kinderreiche Bauernfamilien waren die Basis für die Ausbreitung der deutschen Tabakproduktion, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland kaum noch Bedeutung hat. Nach einer Urkunde aus der Pfalz soll der erste Tabak in Deutschland im Jahr 1573 im Pfarrgarten von Hatzenbühl (Bistum Speyer) angebaut worden sein. Die Geistlichen jener Zeit galten oftmals als Übermittler botanischer Neuerungen und neuer medizinischer Anwendungen. So interessierte zunächst die Anwendung von Tabak in der Medizin. Pfalzgraf Friedrich IV ordnete bereits 1598 Anbauversuche in der Kurpfalz an.

Durch die im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) in Deutschland herumziehenden Söldnerheere wurde das Tabakrauchen stark verbreitet. Die in der Markgrafschaft Baden-Durlach und dem Bistum Speyer aufgenommenen Hugenotten brachten Tabaksamen und Anbauerfahrung aus Frankreich mit und schufen damit die Voraussetzung für die weitere Verbreitung des Anbaus in Deutschland. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer großen Ausbreitung; ca. 200.000 Landwirtschaftsbetriebe bauten damals auf über 30.000 ha Tabak an. (Baden 10.000 ha, Preußen 7.000 ha, Bayern einschl. Pfalz 7.000 ha, restliche deutsche Länder 6.000 ha).

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurde für die kleinbäuerliche Landwirtschaft insbesondere in Baden und der Südpfalz Tabak eine der wichtigsten Einnahmequellen. Tabak bot vielen Landwirtsfamilien sowie vielen Tagelöhnern Arbeit und Einkommen, nachdem 1920 ein Beimischungszwang für heimischen Tabak in Zigarren und Zigaretten in Deutschland eingeführt worden war.

Die europäische Tabakblauschimmel-Pandemie im Jahr 1960, die durch unvorsichtiges Hantieren eines Wissenschaftlers mit dem bei Tabak den sogenannten Falschen Mehltau hervorrufenden Pilz peronospora tabacina an der Bundesanstalt für Tabakbau in Forchheim verursacht wurde, stellte das Überleben vieler landwirtschaftlicher Betriebe in Frage. Der damals bereits begonnene Strukturwandel der Landwirtschaft wurde in den Tabakanbaugebieten durch diesen Einkommensverlust noch verstärkt. Der Tabakanbau spielt in Deutschland seit der Jahrtausendwende nur noch in wenigen Regionen (Südpfalz, Nordbaden, Uckermark) eine wirtschaftlich bedeutsame Rolle. (Quell: Wikipedia)

Ehemalige Tabakscheune

Ich liebe diese Stunde, die anders ist, kommt und geht. Nein, nicht die Stunde, diesen Augenblick liebe ich, der so still ist. Diesen Anfangs-Augenblick, diese Initiale der Stille, diesen ersten Stern, diesen Anfang. Dieses Etwas in mir, das aufsteht, wie junge Mädchen aufstehn in ihrer weißen Mansarde…
Diese Nacht liebe ich. Nein, nicht diese Nacht, diesen Nachtanfang, diese eine lange Anfangszeile der Nacht, die ich nicht lesen werde, weil sie kein Buch für Anfänger ist. Diesen Augenblick liebe ich, der nun vorüber ist und von dem ich, da er verging, fühlte, daß er erst sein wird.

Rainer Maria Rilke

Ich komme wieder im Frühjahr oder Sommer, in der Hoffnung etwas mehr Leben im Dorf zu finden. Obwohl ich die Stille der Stunde auch mochte.