Oman – zwischen Meer und Berg

Al Bustan – Dibab – Hawiyyat Nadschm – Wadi Shab

Drei primitive Dinge genügen mir zum Leben: Etwas Wasser zum Trinken, etwas Brot zum Essen und ein angewinkelter Arm zum Schlafen.

Konfuzius

Sie liebt das Meer, sie vergöttert die Berge. Wenn sie doch nur beides gleichzeitig erleben könnte. Hier im Nordosten des Omans ist das möglich, denn fast überall ragen die Berge bis ans Meer oder sind nur durch die Straßen oder den Dörfern getrennt. Zwei Rial reicht sie dem Mann, der versteckt in seinem Kassenhäuschen sitzt, ins Fenster hinein. Für die nächsten Stunden genießt sie die Bucht von Al Bustan mit schwimmen im glasklaren lauwarmen Wasser. Der kleine Strandclub hat scheinbar seine gloreichen Tage längst hinter sich. Wir im Dornröschenschlaf liegt er unsichtbar am Hang der Straße. Verwitterte Sonnenschirme, abgeblätterter Putz an den flachen Gebäuden, verlassene Boote. An der blau gefließten Strandbar wird sie nichts kaufen können. Die gestapelte Plastikstühle scheinen das Meer zu betrachten.

In Sichtweite ragt das riesige Luxushotel Shangri-La Barr Al Jissah hinter den zerklüfteten Felsen im Meer hervor. Ein spannender Gegensatz zu dieser Kulisse, wie sie bei einem kleinen Rundgang über das Gelände feststellt. Hier ist kein Luxus, dafür vergangener Charme zu finden. Das mögen nur wenige an diesem Tag und so herrsch Ruhe in der Bucht, nur die Wellen sind zu hören und aus der Ferne leise Musik.

Geh langsam. Du kommst doch immer wieder nur zu dir selbst.

Aus dem Orient

Die gut ausgebaute Autobahn schlängelt sich bergauf und bergab durch die scharfkantige Schroffheit des Hadschar Gebirges. Strommasten durchziehen jeden Winkel und wirken in dieser Menschenleere surreal auf sie. Ein Adler zieht einsam seine Runden am blauen Himmel. In der Ferne erkennt sie zwischen den Felsen immer wieder Siedlungen. Nach drei Stunden erreicht sie zur Mittagshitze das kleine Dorf Dibab. Weiß getünchte Häuser vor Bergmassiven, der Minimarkt und die Moscheen stehen wie verlassen am Rand. Die nächste Tankstelle liegt acht Kilometer außerhalb. Ein Wadi (Flusslauf aus den Bergen ) teilt die Stadt und ergießt sich, wenn es Regen gibt, ins Meer. Die Menschen hier leben zumeist vom Fischfang, der Ziegenzucht und einige Wenige vom Tourismus.

Navid begrüßt sie mit der hier üblichen unaufdringlichen herzlichen Gastfreundlichkeit und zeigt ihr die Unterkunft. Als er das Tor schließt herrscht Stille. Nur die schwirrenden Schwalben und den rauschenden Wind in den Palmen nimmt sie wahr – herrlich. Solche Stille gibt es sonst selten in ihrem Leben, das sollte sie ändern.

Bevor die Sonne untergeht macht sie sich zum Naturschaupiel „Hawiyyat Nadschm“ auf. Diese markante Sinkhöhle ist mit Wasser gefüllt und zieht Schaulustige an, auch um darin zu schwimmen. Vom Rand aus kann sie zwanzig Meter tief ins das Bimmah Sinkhole schauen. Viele der Besucher haben sich tief unten auf den Felsen am Wasserrand verteilt, lassen sich ihre Füße von kleinen Fischen anknabbern. Einige schwimmen und das Jauchzen hallt bis nach oben. Sie steigt die lange Treppe hinunter und betrachtet voller Genuss die kleinen menschlichen Szenen. Findet Momente, die sie mit der Kamera festhält. Auf kleinstem Raum vermischen sich hier die verschiedensten Kulturen, Sprachen, Generationen und alle teilen dieses Erlebniss für diese Zeit.

Als sie aus dem Krater nach oben steigt fällt ihr Blick auf eine komplett in Schwarz verhüllte Frau. Weder ihre Augen noch ihre Hände kann sie erkennen. Die Frau hat ihren Mann, der den kleinen Sohn auf dem Arm hält, neben sich. Sie hält ein Smartphone in der Hand und macht Fotos. Wird sie sich die Bilder zu Hause ganz genau anschauen? Wie fühlt es sich wohl an, alles abgedunkelt zu sehen? Macht sie es freiwillig oder aus Liebe zu ihrem Mann oder ihrem Gott? Eine Frau ohne Gesicht ist für ihre eigene Weltanschauung schwer zu ertragen. Sie wird die Einzige auf dieser Reise bleiben, die sie nicht sehen kann. Sie wird ihr in Erinnerung bleiben.

Wenn du dein ganzes Leben lang einsammelst, wann willst du das Gesammelte genießen?

»Alf Laila Wa Laila«

Beim Anblick der Küstenline erscheint es ihr, als ob die Berge sich ins Meer stürzen wollten. Zwischen den steilen Felsplateos liegen kleine Buchten, in die das türkisfarbene Wasser Wellen trägt. Sie möchte hier noch eine Stunde alles einsammeln. Den salzigen Geruch, die kühler werdende Luft, das Geräusch des arabischen Meeres. Erst beim Näherkommen bemerkt sie den Mann, der auf einem der Felsen hockt und sich kurz zum Gruß umdreht. Er wirft eine fast unsichtbare Angelschnur ins Wasser und scheint sich in seinem Tun mit der beruhigenden Kulisse zu verbinden.

Den Zauber der frühen Morgenstunden will sie sich am nächten Tag nicht entgehen lassen. Vor dem Tor hört sie das leise Rascheln der Ziegen, die über Nacht im Gatter bleiben müssen. Sie knabbern am Stroh und den Ästen, bevor sie frei gelassen werden und sich in der Umgebung Futter suchen dürfen. Neugierig schauen sie nach oben, als sie an den Zaun tritt. Ein Esel streift an der Hauswand vorbei. Schnell wird die Sonne nach oben kommen. Sie macht sich auf den Weg an den Strand. Vielleicht kommen Fischer mit ihren Booten und dem Fang zurück.

Sie kommt sich vor wie in der Filmkulisse eines Westerns. Kein Mensch ist unterwegs, nur ein Auto wirbelt Staub auf, als es ihren Weg kreuzt. Der Friseurladen steht verlassen Mitten im Nichts. Erst am Abend wird sie sehen, dass dieser tatsächlich männliche Kundschaft bedient. In der Ferne sieht sie vor einer kleinen Behausung zwei Frauen und einen Mann auf dem Boden sitzten. Sie scheinen gerade mit dem Frühstück fertig zu sein. Die asphaltierte Straße wird zur Sandpiste. Ausladende Bäume spenden den Tieren Schatten.

Das Licht am Strand hat eine Helligkeit, die alles in ihr strahlen lässt. Statt Fischern sind lediglich die Boot im Sand aufgereiht. Mit Blick auf das Wasser, als ob sie Ausschau nach den besten Fanggründen halten.

Navid bringt ein so reichhaltiges Frühstück, dass es sogar für das Abendessen noch reicht. Gelben Dal, gebackene Kirchererbsen, Humus, Fladenbrote, gekochte Eier, Masala-Omlett und eine ganze Kanne indischen Tee. Abdullah hat den frühen Tag zum Kochen genutzt.

Im Wadi Shab hat der Fluss einen tiefen Canyon in die Felsen geschnitten. Die steilen Wände beeindrucken sie und die sich mit jeder Kurve des Flusses verändernden Ansichten. Am Ende der knapp zwei Kilometer langen Wanderung ist das Flussbett so tief ausgwaschen, das sogar Schwimmen möglich ist. Alleine ist sie dort nicht. Das Reisen war hier vor einigen Jahren sicher noch viel einsamer. Auf dem Weg kam ihr ein Mann mit einem Esel entgegen, der einige Säcke voller Abfall aus der Schlucht transportierte. „Seid gewahr der Gefahr.“ denkt sie. Sanfter Tourismus wäre eine Chance, dieses Paradies zu beschützen.

Der Abend beschehrt ihr die Fischer, die eines der Boot an Land ziehen. Die Netze sind leer, wahrscheinlich haben sie nur die Stellnetzte kontrolliert.

Liebe ist das friedvolle Ziehen der Wolken auf azurblauer Himmelsstraße.

Irina Rauthmann

Oman – Land der Weiten Milde

Ankunft – Mutrah – Al Alam Palast – Al Bustan Strand

Die Welt ist in Aufruhr – sie auch. Die Menschen lassen sich spalten – sie nicht. Die Worte werden aggressiver – ihre nicht. Die Zukunft ist ungewiss – das macht ihr Angst. Diese will sie nicht zu mächtig werden lassen, die Angst, die Wut, die Sprachlosigkeit. Sie kennt ein altes Heilmittel: REISEN!

Ein erstes Mal gibt es nicht mehr so oft in ihrem Leben, die bereits gelebten Jahre bringen das mit sich. Ein Land, dass sie noch nicht kennt, soll es sein. Ein Land, welches sich in vielerlei Hinsicht und Ansicht, in Kultur und Sprache, Landschaft und den Menschen dort, unterscheidet zum ihr bekannten. Welches vielleicht neue Erfahrungen und Begegnungen verspricht. Was die unbeschriebenen Seiten in ihrem Reisetagebuch mit Geschichten und Erlebnissen, mit Bildern und mit Worten füllen wird.

Von Weihrauchduft wird sie am Flughafen umströmt, dezent und sofort weiß sie sich in einer anderen Welt. Von den fünf Millionen Einwohnern sind fast die Hälfte Immigranten (vorwiegend aus Indien). Bunt gemischt ist die Warteschlange am Einreiseschalter. Der Officer stempelt ihren Pass und lächelt, als sie ihm sagt, sie reise zum ersten Mal in dieses Land. Draußen ist es noch dunkel aber angenehm warm an diesem Dezembermorgen. Die Sonne wird in einer Stunde orangerot hinter der Bergkette aufgehen und jeden der kommenden Tage in ein zauberhaft weiches Licht tauchen. Wie eine immer wieder sie umhüllende schützende Decke, die Geist und Körper milde stimmen soll.

Ein wirksames Heilmittel gegen Angst ist Milde.

Der Strand ist noch recht verwaist frühmorgens, das Meer träumt leise die letzten Nachtwellen an die Küste. Eine Krähe sucht ihr Frühstück in den Überresten der letzten Nächte. Punkt acht wird Kaffee gemacht im kleinen Bistro, der in einer großen silbernen Kanne sehr süß und orientalisch gewürzt serviert wird. In die kleinen Becher passt genau die richtige Menge, um nicht sofort überschwemmt zu werden von diesem ungewöhnlichen Geschmack.

Seiful ist Fischer und stammt aus Sri Lanka. Mit seiner Frau und Kindern lebt er in der Nähe von Maskat und verdient sein Einkommen mit dem Boot, auf dem er für sie Platz nimmt. Das Foto schick sie direkt an ihn, er lächelt und winkt, als sie zurück in Richtung Badebucht läuft.

Mutrah – einst die offizielle Hauptstadt – zieht sie sofort in ihren Bann. Der Morgen ist gerade erst aus dem Bett gekrochen und der verhangene Himmel täuscht Kühle vor, die sie nicht spüren kann. Im fernen Land ist Winter bei 25 Grad, denn die Sommer warten immer öfter mit dem Zweifachen davon auf. Noch ist es ruhig in den Straßen und vor den bereits geöffneten Geschäften. Wer Zeit hat, holt sich einen Tee oder Kaffee, raucht eine Zigarette oder erzählt sich die Neuigkeiten. Hier sind vor langer Zeit die Seefahrer angekommen, mit ihren voll beladenen Daus, den Segelschiffen dieser Region. Sie brachten Waren aller Art und Sklaven. Der Souk, das Herz der Stadt, bietet neben Ware heute vor allem Fotomotive und Begegnungen beim Handel. Sie kann es kaum erwarten durch die verwinkelten engen Gassen zu laufen und mit allen Sinnen dieses Geschehen aufzusaugen.

Wer die Hauptader des Labyriths verlässt, hat verloren. Sie geht verloren, entfernt sich vom touristischen Teil und steift lieber durch die kleinen Gassen der Anwohner. Die genau hier ihr Brot beim Bäcker kaufen, der ihr einen Einblick gewährt und sie nicht ohne eine Tüte warmer Fladen wieder gehen lässt. Er nimmt kein Geld von ihr, Gäste sind hier eingeladen.

Fünf Söhne und fünf Töchter hat der Taxifahrer, dem sie bei seiner Raucherpause auf ein paar Sätze Gesellschaft leistet. Er trägt eine weiße Thawb, die den Omanis vorbehalten bleibt und wartet auf Fahrgäste, die nach Einkauf und Mittagessen demnächst wieder in Richtung Maskat aufbrechen werden.

Bis zum späten Nachmittag zieht Ruhe ein, die Waren werden mit Tüchern bedeckt, der Muizin ruft zum Mittagsgebet und die Katzen, Hunde und Verkäufer halten ein Nickerchen bis das Treiben am frühen Abend wieder von vorne beginnt.

Die Küstenstraße schlängelt sich in Richtung Südwesten, dort findet sie den Palast des Sultans. Sie muss an die Märchen aus Tausend und einer Nacht denken. An fliegende Teppiche, den kleinen Muck, die goldene Wunderlampe des Aladins.

Haitham bin Tariq bin Taymur al-Sa’id ist seit 2020 in diesem Land der Sultan und ein Mitglied der Bū-Saʿīd-Dynastie, die seit 1746 die Herrscher des Omans stellt. Den Palast ließ Anfang der 1970er Jahre Sultan Qabus errichten. Sie sieht diese familiäre Weitergabe von Macht kritisch. Qabus sorgte während seiner Amtszeit immerhin mit Reformen für mehr Wohlstand im ganzen Land. Die Analphabetenrate wurde dank neuer Schulen und Universitäten massiv gesenkt, die Gesundheitsversorgung verbessert. Die Infrasturktur ist im ganzen Land auf dem neusten Stand und unter dem Titel „Agenda 2040“ kündigte der aktuelle Sultan umfangreiche Reformen zur Diversifizierung und zur Senkung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Öl-Einnahmen des Landes an, dazu zählt unter anderem der Ausbau des Tourismus.

Der Sultan wohnt hier nicht mehr, nur die Staatsgäste werden im Palast empfangen. Ein paar Ecken weiter genießt sie die warmen Strahlen der Nachmittagssonne auf der Dachterasse eines Cafés. Sie mag es sehr, ihren Schatten mit den arabischen Schriftzeichen an der Wand verschmelzen zu lassen. Schade, dass sie es nicht lesen kann.

Diese Übersetzung findet sie passend: „Sie sehen 20 Hügel, sie sind sehr schön.“ Das kann sie in diesem Moment dort bestätigen.

Das Meer riecht nicht überall auf dieser Erde gleich, der Sand fühlt sich immer wieder anders an. Die Menschen begegnem diesem Ort auf unterschiedliche Weise. Sie lässt die Abendstimmung in ihr Herz. Lauscht dieser Ruhe trotz Gesprächen und Kinderlachen. Genießt dieses besondere Licht und möchte es am liebsten in ihre Tasche stecken, um es in traurigen und dunklen Momenten herausholen zu können. Besser hätte der erste Tag hier im Oman nicht verlaufen können.

Oh, schau ins Licht, so oft die Schatten dich umdüstern wollen.

Anna Dix (1874 – 1947)

Passion Paris – Abschied

Zeit Abschied zu nehmen von dieser inspirierenden Stadt und ihren Menschen, Geschichten, Motiven. Noch einmal will sie eintauchen in die Umgebung des Montmartre und folgt an diesem letzten Tag den Straßen in Richtung des Hügels. Zuvor bestaunte sie an diesem Morgen eine Fotoausstellung im Jeu de Paume der Künstlerin Tina Barney.

Ein bisschen Wehmut liegt auf ihrem Herzen, sie mag keine Abschiede. Nie weiß sie, ob es für immer sein wird oder sich noch einmal die Chance bietet eine Stadt, ein Land, einen Menschen wiederzusehen. Das Leben ist allerdings voller Abschiede. Jeder Atemzug verabschiedet sich beim Ausatmen für immer aus dem Körper. Sie weiß, es ist kein Abschied für immer. Es muss ein nächstes Mal geben!

Ein junger Mann sitzt mit dunkler Kleidung auf einem der fünf knallgelben Plastikstühle in der Metrostation, lässig hat er sein rechtes Bein übergeschlagen, vor ihm hat er einen Elektroroller geparkt. In seiner Hand hält er ein Telefon, auf dem vielleicht gerade eine Nachricht eingeht, mit dem sich seine Freundin nocht einmal verabschiedet. Sie studiert in Lillé und er hat sie zum Bahnhof gebracht. Vermutlich interessiert in das Kinoplakat hinter ihm überhaupt nicht. In einem Monat könnte einer der beiden Darsteller Präsident der USA werden und die Welt wird neue Herausforderungen meistern müssen. Abschiede auf vielen Ebenen.

Sie steift wie eine Katze durch das bunte Viertel, bleibt hier und da stehen, um das Geschehen und die Vielfalt aufzunehmen. Schaut in alle Richtungen, in Schaufenster und offene Türen, erfreut sich an den kleinen Dingen, die jede Gasse oder Straßenecke zu bieten hat. Die Taube auf dem Dach der Drogerie putzt ihr Gefieder. Freundlich grüßt der Besitzer vor seinem kleinen Café und lädt sie ein wiederzukommen, wenn er geöffnet hat.

82 Bd de Clichy, 75018 Paris, Frankreich – hier steht die berühmte rote Windmühle des Dinner- Theaters Moulin Rouge, die jeder Tourist zumindest einmal gesehen haben will. Am späten Morgen ist es in den Straßen des Vernügunsviertels beschaulich ruhig. Der Dreck der vergangenen Nacht wird weggeputzt, kleine Reparaturen vorgenommen, die aktuellen Zeitungen aus dem Kiosk an Kunden verkauft, viele der Restaurants haben noch geschlossen. Die Nacht ist hier die belebtere Zeit, wenn alle kommen, um die Lichter zu bestaunen oder sich Freude zu erkaufen.

Warum liegt dieser Mensch mitten auf dem Gehweg? Eingepackt wie eine Mumie?

Der Mensch ist eine Frage. Menschsein ist die Antwort.

André Brie

Zum Abschluss kehrt sie in eines dieser typischen kleinen Restaurants ein, die hier in unzähliger Anzahl zu finden sind. Sie lässt sich Tee und eine Gallette mit frischen Feigen, Nüssen und Honig bringen. Bewundert die attraktive Bedienung, die eher in einem französischen Film mitspielen könnte. Schaut von der Galerie aus auf die belebte Straße unter ihr, auf der unablässig Passanten vorbeiströmen. Gegenüber wird ein Appartment renoviert. Die beiden Bauarbeiter machen gerade eine Zigarettenpause. Sie träumt sich in diese Wohnung und stellt ein Leben hier in Montmartre vor. Sie könnte die Frau kennenlernen, ihre Geschichte hören, sie fotografieren … Wer weiß …

An eine, die vorüberging:

Der Straßenlärm betäubend zu mir drang. In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft, Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft den Saum des Kleides hob, der glockig schwang; anmutig, wie gemeißelt war das Bein. Und ich, erstarrt, wie außer micht gebracht, Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht, sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein. Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren, durch deren Blick ich jählings neu geboren, werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn? Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt, Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!

Charles Baudelaire

Au revoir et merci Paris – tu es belle!

Passion Paris – Tag 4

Nur produktives Schaffen rettet vor dem modernen Elend. Es wird uns nötigen, über die Fragen, die nie alt werden, nachzudenken: über das Woher? Wie? Warum? Wohin? Es wird uns zwingen, uns mit dem Leben auseinanderzusetzen und nach seinem Sinn zu fragen. Das ist vergebene Liebesmüh, werden die Herren Gelehrten sagen, aber doch Liebesmüh! Euer Schaffen aber ist Insektenarbeit.

Jakob Bosshart

Die Liebe wohnt in Paris! Das spürt sie mit jedem Schritt in den Straße dieser Stadt, die sich ernsthaft Mühe gibt, diese Liebe nicht zu kitschig und klischeehaft werden zu lassen. Sie mag keine eingefahrenen Vorstellungen und macht sich gerne selbst ein Bild, ob stimmt, „was erzählt“ wird. Angesichts der prachtvollen Architektur, der zahlreichen Angebote für Kunst und Kultur, den geschmackvoll gekleideten Menschen und der köstlichen Küche inklusive dem Wein und natürlich dem berühmten Laissez-faire ihrer Bewohner, verliebt sie sich trotz aller Vorurteile sofort und heftig. Jede Ecke ist liebenswürdig und sie hätte große Lust, sofort auf der Stelle alle Viertel ausgiebig zu erkunden.

Den Louvre und Notre Dame, die Opéra Garnier sowie den Palais de Tokyo hebt sie sich für die nächste Reise auf. Eigentlich mag sie keine Einkaufstempel, aber die Galeries Lafayette Haussmann ist dennoch einen Besuch wert. Das historische Kaufhaus überspannt eine Jugendstilkuppel, auf vier Etage wird angeboten, was viele Herzen begehren. Ihres schlägt dort nicht für den Konsum, nur für die Farben und das Licht. Aus der Ferne beobachtet Sie die extra zum Fotografieren installierte Glasbrücke, an deren Zugang sich eine Menschentraube bildet.

Sonnenlicht und kühle Luft erwartet sie draußen, in den Straßen füllen sich heute nur langsam die Gehwege. Sie kann den Blick schweifen lassen, im Augenblick versinken, den Moment abpassen. Das Herz der Stadt schlägt immer im gleichen Rhythmus, egal ob friedliche Stille oder panische Hektik herrscht. Wer ihn spürt, kann sich treiben lassen und im Takt der Herzen mitschwingen.

Lass die Liebe vorangehen, wenn du von ihr erhört werden willst.

Wer liebt findet sich selbst.

Die Zeit vergeht ohne Mühe, weder Schritte zu zählen noch auf die Uhr zu schauen, kommt ihr in den Sinn. Die Pont Alexandre III wurde nach einem russischen Zaren benannt. Die Erbauer der Brücke und der sich darauf befindenden Statuen waren detailverliebt und lassen sie staunen. Immer wieder blitzt es golden von den Figuren gegen den blauen Himmel, an dem sich Wolken gegenseitig fangen wollen. Der breite Fluß trägt voll besetzte Ausflugsboote unter der Bogenbrücke hindurch. Nichts scheint diese Idylle zu stören, wie aus der Zeit gefallen stehen die Menschen und lassen die Schönheit und den Prunk auf sich wirken. Sie empfindet keine Scham sich ihnen anzuschließen, sucht die versteckten Momente, die das Gefühl in diesem Moment spiegeln.

Man suche die leuchtendsten Augenblicke seines Lebens und analysiere sie, und man wird finden, dass in der Regel die Liebe im Spiele war. Die Liebe setzt dem Leben das Gold auf.

Jakob Bosshart

Fast heimlich muss der beste Platz als Altar für Hochzeitsfotos herhalten. Wem kann man es verwehren, sich in der Stadt der Liebe zu vermählen? Die Welle der Liebe scheint hier unaufhaltsam durch die ganze Stadt zu rollen. „Warum nicht“ denkt sie und verlässt diesen Schauplatz der Liebe.

Immer dann, wenn man spürt, dass Routine sich einschleicht, sollte man etwas Neues machen.

Max Reinhardt

Ein bisschen übertrieben findet sie diese Inszenierungen einzelner schon. Das Ausfsehen erregen ist eine eigenartige Gewohnheit geworden. Sie findet Spaß daran, diese kleinen Schaupiele einzufangen. Die Einheimschen scheinen daran gewöhnt zu sein. Mit scheinbar stoischer Gelassenheit zieht einfach alles an ihnen vorbei. Man muss sie einfach schon für ihre Toleranz ins Herz schließen.

Der Eifelturm rückt immer näher, sie hat ihn fast einmal umrundet. Jetzt ist er zum Greifen nah und lockt sie in seinen Bann. Fein rausgeputzt nach den olympischen Feierlichkeiten strahlt er mit der warmen Nachmittagssonne um die Wette. Sie kann ihm nicht widerstehen und macht sich auf dem Weg zum Champ de Mars.

Mir ist auf der Straße ein sehr armer junger Mann begegnet, der verliebt war. Sein Hut war alt, sein Mantel abgetragen; Wasser rann durch seine Schuhe. Aber Sterne zogen durch seine Seele.

Victor Hugo

Eine gute Freundin sagte ihr einmal „Zeit ist Liebe.“ Es stimmt, Zeit und Liebe habe etwas gemeinsam – sie sind sehr kostbar.