Oman – Land der Weiten Milde

Ankunft – Mutrah – Al Alam Palast – Al Bustan Strand

Die Welt ist in Aufruhr – sie auch. Die Menschen lassen sich spalten – sie nicht. Die Worte werden aggressiver – ihre nicht. Die Zukunft ist ungewiss – das macht ihr Angst. Diese will sie nicht zu mächtig werden lassen, die Angst, die Wut, die Sprachlosigkeit. Sie kennt ein altes Heilmittel: REISEN!

Ein erstes Mal gibt es nicht mehr so oft in ihrem Leben, die bereits gelebten Jahre bringen das mit sich. Ein Land, dass sie noch nicht kennt, soll es sein. Ein Land, welches sich in vielerlei Hinsicht und Ansicht, in Kultur und Sprache, Landschaft und den Menschen dort, unterscheidet zum ihr bekannten. Welches vielleicht neue Erfahrungen und Begegnungen verspricht. Was die unbeschriebenen Seiten in ihrem Reisetagebuch mit Geschichten und Erlebnissen, mit Bildern und mit Worten füllen wird.

Von Weihrauchduft wird sie am Flughafen umströmt, dezent und sofort weiß sie sich in einer anderen Welt. Von den fünf Millionen Einwohnern sind fast die Hälfte Immigranten (vorwiegend aus Indien). Bunt gemischt ist die Warteschlange am Einreiseschalter. Der Officer stempelt ihren Pass und lächelt, als sie ihm sagt, sie reise zum ersten Mal in dieses Land. Draußen ist es noch dunkel aber angenehm warm an diesem Dezembermorgen. Die Sonne wird in einer Stunde orangerot hinter der Bergkette aufgehen und jeden der kommenden Tage in ein zauberhaft weiches Licht tauchen. Wie eine immer wieder sie umhüllende schützende Decke, die Geist und Körper milde stimmen soll.

Ein wirksames Heilmittel gegen Angst ist Milde.

Der Strand ist noch recht verwaist frühmorgens, das Meer träumt leise die letzten Nachtwellen an die Küste. Eine Krähe sucht ihr Frühstück in den Überresten der letzten Nächte. Punkt acht wird Kaffee gemacht im kleinen Bistro, der in einer großen silbernen Kanne sehr süß und orientalisch gewürzt serviert wird. In die kleinen Becher passt genau die richtige Menge, um nicht sofort überschwemmt zu werden von diesem ungewöhnlichen Geschmack.

Seiful ist Fischer und stammt aus Sri Lanka. Mit seiner Frau und Kindern lebt er in der Nähe von Maskat und verdient sein Einkommen mit dem Boot, auf dem er für sie Platz nimmt. Das Foto schick sie direkt an ihn, er lächelt und winkt, als sie zurück in Richtung Badebucht läuft.

Mutrah – einst die offizielle Hauptstadt – zieht sie sofort in ihren Bann. Der Morgen ist gerade erst aus dem Bett gekrochen und der verhangene Himmel täuscht Kühle vor, die sie nicht spüren kann. Im fernen Land ist Winter bei 25 Grad, denn die Sommer warten immer öfter mit dem Zweifachen davon auf. Noch ist es ruhig in den Straßen und vor den bereits geöffneten Geschäften. Wer Zeit hat, holt sich einen Tee oder Kaffee, raucht eine Zigarette oder erzählt sich die Neuigkeiten. Hier sind vor langer Zeit die Seefahrer angekommen, mit ihren voll beladenen Daus, den Segelschiffen dieser Region. Sie brachten Waren aller Art und Sklaven. Der Souk, das Herz der Stadt, bietet neben Ware heute vor allem Fotomotive und Begegnungen beim Handel. Sie kann es kaum erwarten durch die verwinkelten engen Gassen zu laufen und mit allen Sinnen dieses Geschehen aufzusaugen.

Wer die Hauptader des Labyriths verlässt, hat verloren. Sie geht verloren, entfernt sich vom touristischen Teil und steift lieber durch die kleinen Gassen der Anwohner. Die genau hier ihr Brot beim Bäcker kaufen, der ihr einen Einblick gewährt und sie nicht ohne eine Tüte warmer Fladen wieder gehen lässt. Er nimmt kein Geld von ihr, Gäste sind hier eingeladen.

Fünf Söhne und fünf Töchter hat der Taxifahrer, dem sie bei seiner Raucherpause auf ein paar Sätze Gesellschaft leistet. Er trägt eine weiße Thawb, die den Omanis vorbehalten bleibt und wartet auf Fahrgäste, die nach Einkauf und Mittagessen demnächst wieder in Richtung Maskat aufbrechen werden.

Bis zum späten Nachmittag zieht Ruhe ein, die Waren werden mit Tüchern bedeckt, der Muizin ruft zum Mittagsgebet und die Katzen, Hunde und Verkäufer halten ein Nickerchen bis das Treiben am frühen Abend wieder von vorne beginnt.

Die Küstenstraße schlängelt sich in Richtung Südwesten, dort findet sie den Palast des Sultans. Sie muss an die Märchen aus Tausend und einer Nacht denken. An fliegende Teppiche, den kleinen Muck, die goldene Wunderlampe des Aladins.

Haitham bin Tariq bin Taymur al-Sa’id ist seit 2020 in diesem Land der Sultan und ein Mitglied der Bū-Saʿīd-Dynastie, die seit 1746 die Herrscher des Omans stellt. Den Palast ließ Anfang der 1970er Jahre Sultan Qabus errichten. Sie sieht diese familiäre Weitergabe von Macht kritisch. Qabus sorgte während seiner Amtszeit immerhin mit Reformen für mehr Wohlstand im ganzen Land. Die Analphabetenrate wurde dank neuer Schulen und Universitäten massiv gesenkt, die Gesundheitsversorgung verbessert. Die Infrasturktur ist im ganzen Land auf dem neusten Stand und unter dem Titel „Agenda 2040“ kündigte der aktuelle Sultan umfangreiche Reformen zur Diversifizierung und zur Senkung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Öl-Einnahmen des Landes an, dazu zählt unter anderem der Ausbau des Tourismus.

Der Sultan wohnt hier nicht mehr, nur die Staatsgäste werden im Palast empfangen. Ein paar Ecken weiter genießt sie die warmen Strahlen der Nachmittagssonne auf der Dachterasse eines Cafés. Sie mag es sehr, ihren Schatten mit den arabischen Schriftzeichen an der Wand verschmelzen zu lassen. Schade, dass sie es nicht lesen kann.

Diese Übersetzung findet sie passend: „Sie sehen 20 Hügel, sie sind sehr schön.“ Das kann sie in diesem Moment dort bestätigen.

Das Meer riecht nicht überall auf dieser Erde gleich, der Sand fühlt sich immer wieder anders an. Die Menschen begegnem diesem Ort auf unterschiedliche Weise. Sie lässt die Abendstimmung in ihr Herz. Lauscht dieser Ruhe trotz Gesprächen und Kinderlachen. Genießt dieses besondere Licht und möchte es am liebsten in ihre Tasche stecken, um es in traurigen und dunklen Momenten herausholen zu können. Besser hätte der erste Tag hier im Oman nicht verlaufen können.

Oh, schau ins Licht, so oft die Schatten dich umdüstern wollen.

Anna Dix (1874 – 1947)