Oman – zwischen Meer und Berg

Al Bustan – Dibab – Hawiyyat Nadschm – Wadi Shab

Drei primitive Dinge genügen mir zum Leben: Etwas Wasser zum Trinken, etwas Brot zum Essen und ein angewinkelter Arm zum Schlafen.

Konfuzius

Sie liebt das Meer, sie vergöttert die Berge. Wenn sie doch nur beides gleichzeitig erleben könnte. Hier im Nordosten des Omans ist das möglich, denn fast überall ragen die Berge bis ans Meer oder sind nur durch die Straßen oder den Dörfern getrennt. Zwei Rial reicht sie dem Mann, der versteckt in seinem Kassenhäuschen sitzt, ins Fenster hinein. Für die nächsten Stunden genießt sie die Bucht von Al Bustan mit schwimmen im glasklaren lauwarmen Wasser. Der kleine Strandclub hat scheinbar seine gloreichen Tage längst hinter sich. Wir im Dornröschenschlaf liegt er unsichtbar am Hang der Straße. Verwitterte Sonnenschirme, abgeblätterter Putz an den flachen Gebäuden, verlassene Boote. An der blau gefließten Strandbar wird sie nichts kaufen können. Die gestapelte Plastikstühle scheinen das Meer zu betrachten.

In Sichtweite ragt das riesige Luxushotel Shangri-La Barr Al Jissah hinter den zerklüfteten Felsen im Meer hervor. Ein spannender Gegensatz zu dieser Kulisse, wie sie bei einem kleinen Rundgang über das Gelände feststellt. Hier ist kein Luxus, dafür vergangener Charme zu finden. Das mögen nur wenige an diesem Tag und so herrsch Ruhe in der Bucht, nur die Wellen sind zu hören und aus der Ferne leise Musik.

Geh langsam. Du kommst doch immer wieder nur zu dir selbst.

Aus dem Orient

Die gut ausgebaute Autobahn schlängelt sich bergauf und bergab durch die scharfkantige Schroffheit des Hadschar Gebirges. Strommasten durchziehen jeden Winkel und wirken in dieser Menschenleere surreal auf sie. Ein Adler zieht einsam seine Runden am blauen Himmel. In der Ferne erkennt sie zwischen den Felsen immer wieder Siedlungen. Nach drei Stunden erreicht sie zur Mittagshitze das kleine Dorf Dibab. Weiß getünchte Häuser vor Bergmassiven, der Minimarkt und die Moscheen stehen wie verlassen am Rand. Die nächste Tankstelle liegt acht Kilometer außerhalb. Ein Wadi (Flusslauf aus den Bergen ) teilt die Stadt und ergießt sich, wenn es Regen gibt, ins Meer. Die Menschen hier leben zumeist vom Fischfang, der Ziegenzucht und einige Wenige vom Tourismus.

Navid begrüßt sie mit der hier üblichen unaufdringlichen herzlichen Gastfreundlichkeit und zeigt ihr die Unterkunft. Als er das Tor schließt herrscht Stille. Nur die schwirrenden Schwalben und den rauschenden Wind in den Palmen nimmt sie wahr – herrlich. Solche Stille gibt es sonst selten in ihrem Leben, das sollte sie ändern.

Bevor die Sonne untergeht macht sie sich zum Naturschaupiel „Hawiyyat Nadschm“ auf. Diese markante Sinkhöhle ist mit Wasser gefüllt und zieht Schaulustige an, auch um darin zu schwimmen. Vom Rand aus kann sie zwanzig Meter tief ins das Bimmah Sinkhole schauen. Viele der Besucher haben sich tief unten auf den Felsen am Wasserrand verteilt, lassen sich ihre Füße von kleinen Fischen anknabbern. Einige schwimmen und das Jauchzen hallt bis nach oben. Sie steigt die lange Treppe hinunter und betrachtet voller Genuss die kleinen menschlichen Szenen. Findet Momente, die sie mit der Kamera festhält. Auf kleinstem Raum vermischen sich hier die verschiedensten Kulturen, Sprachen, Generationen und alle teilen dieses Erlebniss für diese Zeit.

Als sie aus dem Krater nach oben steigt fällt ihr Blick auf eine komplett in Schwarz verhüllte Frau. Weder ihre Augen noch ihre Hände kann sie erkennen. Die Frau hat ihren Mann, der den kleinen Sohn auf dem Arm hält, neben sich. Sie hält ein Smartphone in der Hand und macht Fotos. Wird sie sich die Bilder zu Hause ganz genau anschauen? Wie fühlt es sich wohl an, alles abgedunkelt zu sehen? Macht sie es freiwillig oder aus Liebe zu ihrem Mann oder ihrem Gott? Eine Frau ohne Gesicht ist für ihre eigene Weltanschauung schwer zu ertragen. Sie wird die Einzige auf dieser Reise bleiben, die sie nicht sehen kann. Sie wird ihr in Erinnerung bleiben.

Wenn du dein ganzes Leben lang einsammelst, wann willst du das Gesammelte genießen?

»Alf Laila Wa Laila«

Beim Anblick der Küstenline erscheint es ihr, als ob die Berge sich ins Meer stürzen wollten. Zwischen den steilen Felsplateos liegen kleine Buchten, in die das türkisfarbene Wasser Wellen trägt. Sie möchte hier noch eine Stunde alles einsammeln. Den salzigen Geruch, die kühler werdende Luft, das Geräusch des arabischen Meeres. Erst beim Näherkommen bemerkt sie den Mann, der auf einem der Felsen hockt und sich kurz zum Gruß umdreht. Er wirft eine fast unsichtbare Angelschnur ins Wasser und scheint sich in seinem Tun mit der beruhigenden Kulisse zu verbinden.

Den Zauber der frühen Morgenstunden will sie sich am nächten Tag nicht entgehen lassen. Vor dem Tor hört sie das leise Rascheln der Ziegen, die über Nacht im Gatter bleiben müssen. Sie knabbern am Stroh und den Ästen, bevor sie frei gelassen werden und sich in der Umgebung Futter suchen dürfen. Neugierig schauen sie nach oben, als sie an den Zaun tritt. Ein Esel streift an der Hauswand vorbei. Schnell wird die Sonne nach oben kommen. Sie macht sich auf den Weg an den Strand. Vielleicht kommen Fischer mit ihren Booten und dem Fang zurück.

Sie kommt sich vor wie in der Filmkulisse eines Westerns. Kein Mensch ist unterwegs, nur ein Auto wirbelt Staub auf, als es ihren Weg kreuzt. Der Friseurladen steht verlassen Mitten im Nichts. Erst am Abend wird sie sehen, dass dieser tatsächlich männliche Kundschaft bedient. In der Ferne sieht sie vor einer kleinen Behausung zwei Frauen und einen Mann auf dem Boden sitzten. Sie scheinen gerade mit dem Frühstück fertig zu sein. Die asphaltierte Straße wird zur Sandpiste. Ausladende Bäume spenden den Tieren Schatten.

Das Licht am Strand hat eine Helligkeit, die alles in ihr strahlen lässt. Statt Fischern sind lediglich die Boot im Sand aufgereiht. Mit Blick auf das Wasser, als ob sie Ausschau nach den besten Fanggründen halten.

Navid bringt ein so reichhaltiges Frühstück, dass es sogar für das Abendessen noch reicht. Gelben Dal, gebackene Kirchererbsen, Humus, Fladenbrote, gekochte Eier, Masala-Omlett und eine ganze Kanne indischen Tee. Abdullah hat den frühen Tag zum Kochen genutzt.

Im Wadi Shab hat der Fluss einen tiefen Canyon in die Felsen geschnitten. Die steilen Wände beeindrucken sie und die sich mit jeder Kurve des Flusses verändernden Ansichten. Am Ende der knapp zwei Kilometer langen Wanderung ist das Flussbett so tief ausgwaschen, das sogar Schwimmen möglich ist. Alleine ist sie dort nicht. Das Reisen war hier vor einigen Jahren sicher noch viel einsamer. Auf dem Weg kam ihr ein Mann mit einem Esel entgegen, der einige Säcke voller Abfall aus der Schlucht transportierte. „Seid gewahr der Gefahr.“ denkt sie. Sanfter Tourismus wäre eine Chance, dieses Paradies zu beschützen.

Der Abend beschehrt ihr die Fischer, die eines der Boot an Land ziehen. Die Netze sind leer, wahrscheinlich haben sie nur die Stellnetzte kontrolliert.

Liebe ist das friedvolle Ziehen der Wolken auf azurblauer Himmelsstraße.

Irina Rauthmann

Oman – Land der Weiten Milde

Ankunft – Mutrah – Al Alam Palast – Al Bustan Strand

Die Welt ist in Aufruhr – sie auch. Die Menschen lassen sich spalten – sie nicht. Die Worte werden aggressiver – ihre nicht. Die Zukunft ist ungewiss – das macht ihr Angst. Diese will sie nicht zu mächtig werden lassen, die Angst, die Wut, die Sprachlosigkeit. Sie kennt ein altes Heilmittel: REISEN!

Ein erstes Mal gibt es nicht mehr so oft in ihrem Leben, die bereits gelebten Jahre bringen das mit sich. Ein Land, dass sie noch nicht kennt, soll es sein. Ein Land, welches sich in vielerlei Hinsicht und Ansicht, in Kultur und Sprache, Landschaft und den Menschen dort, unterscheidet zum ihr bekannten. Welches vielleicht neue Erfahrungen und Begegnungen verspricht. Was die unbeschriebenen Seiten in ihrem Reisetagebuch mit Geschichten und Erlebnissen, mit Bildern und mit Worten füllen wird.

Von Weihrauchduft wird sie am Flughafen umströmt, dezent und sofort weiß sie sich in einer anderen Welt. Von den fünf Millionen Einwohnern sind fast die Hälfte Immigranten (vorwiegend aus Indien). Bunt gemischt ist die Warteschlange am Einreiseschalter. Der Officer stempelt ihren Pass und lächelt, als sie ihm sagt, sie reise zum ersten Mal in dieses Land. Draußen ist es noch dunkel aber angenehm warm an diesem Dezembermorgen. Die Sonne wird in einer Stunde orangerot hinter der Bergkette aufgehen und jeden der kommenden Tage in ein zauberhaft weiches Licht tauchen. Wie eine immer wieder sie umhüllende schützende Decke, die Geist und Körper milde stimmen soll.

Ein wirksames Heilmittel gegen Angst ist Milde.

Der Strand ist noch recht verwaist frühmorgens, das Meer träumt leise die letzten Nachtwellen an die Küste. Eine Krähe sucht ihr Frühstück in den Überresten der letzten Nächte. Punkt acht wird Kaffee gemacht im kleinen Bistro, der in einer großen silbernen Kanne sehr süß und orientalisch gewürzt serviert wird. In die kleinen Becher passt genau die richtige Menge, um nicht sofort überschwemmt zu werden von diesem ungewöhnlichen Geschmack.

Seiful ist Fischer und stammt aus Sri Lanka. Mit seiner Frau und Kindern lebt er in der Nähe von Maskat und verdient sein Einkommen mit dem Boot, auf dem er für sie Platz nimmt. Das Foto schick sie direkt an ihn, er lächelt und winkt, als sie zurück in Richtung Badebucht läuft.

Mutrah – einst die offizielle Hauptstadt – zieht sie sofort in ihren Bann. Der Morgen ist gerade erst aus dem Bett gekrochen und der verhangene Himmel täuscht Kühle vor, die sie nicht spüren kann. Im fernen Land ist Winter bei 25 Grad, denn die Sommer warten immer öfter mit dem Zweifachen davon auf. Noch ist es ruhig in den Straßen und vor den bereits geöffneten Geschäften. Wer Zeit hat, holt sich einen Tee oder Kaffee, raucht eine Zigarette oder erzählt sich die Neuigkeiten. Hier sind vor langer Zeit die Seefahrer angekommen, mit ihren voll beladenen Daus, den Segelschiffen dieser Region. Sie brachten Waren aller Art und Sklaven. Der Souk, das Herz der Stadt, bietet neben Ware heute vor allem Fotomotive und Begegnungen beim Handel. Sie kann es kaum erwarten durch die verwinkelten engen Gassen zu laufen und mit allen Sinnen dieses Geschehen aufzusaugen.

Wer die Hauptader des Labyriths verlässt, hat verloren. Sie geht verloren, entfernt sich vom touristischen Teil und steift lieber durch die kleinen Gassen der Anwohner. Die genau hier ihr Brot beim Bäcker kaufen, der ihr einen Einblick gewährt und sie nicht ohne eine Tüte warmer Fladen wieder gehen lässt. Er nimmt kein Geld von ihr, Gäste sind hier eingeladen.

Fünf Söhne und fünf Töchter hat der Taxifahrer, dem sie bei seiner Raucherpause auf ein paar Sätze Gesellschaft leistet. Er trägt eine weiße Thawb, die den Omanis vorbehalten bleibt und wartet auf Fahrgäste, die nach Einkauf und Mittagessen demnächst wieder in Richtung Maskat aufbrechen werden.

Bis zum späten Nachmittag zieht Ruhe ein, die Waren werden mit Tüchern bedeckt, der Muizin ruft zum Mittagsgebet und die Katzen, Hunde und Verkäufer halten ein Nickerchen bis das Treiben am frühen Abend wieder von vorne beginnt.

Die Küstenstraße schlängelt sich in Richtung Südwesten, dort findet sie den Palast des Sultans. Sie muss an die Märchen aus Tausend und einer Nacht denken. An fliegende Teppiche, den kleinen Muck, die goldene Wunderlampe des Aladins.

Haitham bin Tariq bin Taymur al-Sa’id ist seit 2020 in diesem Land der Sultan und ein Mitglied der Bū-Saʿīd-Dynastie, die seit 1746 die Herrscher des Omans stellt. Den Palast ließ Anfang der 1970er Jahre Sultan Qabus errichten. Sie sieht diese familiäre Weitergabe von Macht kritisch. Qabus sorgte während seiner Amtszeit immerhin mit Reformen für mehr Wohlstand im ganzen Land. Die Analphabetenrate wurde dank neuer Schulen und Universitäten massiv gesenkt, die Gesundheitsversorgung verbessert. Die Infrasturktur ist im ganzen Land auf dem neusten Stand und unter dem Titel „Agenda 2040“ kündigte der aktuelle Sultan umfangreiche Reformen zur Diversifizierung und zur Senkung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Öl-Einnahmen des Landes an, dazu zählt unter anderem der Ausbau des Tourismus.

Der Sultan wohnt hier nicht mehr, nur die Staatsgäste werden im Palast empfangen. Ein paar Ecken weiter genießt sie die warmen Strahlen der Nachmittagssonne auf der Dachterasse eines Cafés. Sie mag es sehr, ihren Schatten mit den arabischen Schriftzeichen an der Wand verschmelzen zu lassen. Schade, dass sie es nicht lesen kann.

Diese Übersetzung findet sie passend: „Sie sehen 20 Hügel, sie sind sehr schön.“ Das kann sie in diesem Moment dort bestätigen.

Das Meer riecht nicht überall auf dieser Erde gleich, der Sand fühlt sich immer wieder anders an. Die Menschen begegnem diesem Ort auf unterschiedliche Weise. Sie lässt die Abendstimmung in ihr Herz. Lauscht dieser Ruhe trotz Gesprächen und Kinderlachen. Genießt dieses besondere Licht und möchte es am liebsten in ihre Tasche stecken, um es in traurigen und dunklen Momenten herausholen zu können. Besser hätte der erste Tag hier im Oman nicht verlaufen können.

Oh, schau ins Licht, so oft die Schatten dich umdüstern wollen.

Anna Dix (1874 – 1947)