Die Freundschaft vermehrt das Gute und verteilt das Schlimme: sie ist das einzige Mittel gegen das Unglück und ist das Freiatmen der Seele.
Baltasar Gracián y Morales
Die Freundschaft und „The Gällery“, die Freunde und Frau Amos ziehen mich in die Landeshaupstadt BW. Stuttgart muss man wollen oder ihr eben immer wieder eine neue Chance geben. In den Kessel geht es mit der Bahn, die anderen Gäste warten geduldig an der Bahnsteigkante. Nur fliegen ist wohl doch nicht schöner.
The Gällery (Raum für Fotografie) befindet sich in den Räumen der Neuen Staatsgalerie. Seit den Bauarbeiten des Jahrhundertprojektes 2021 (Neubau des Hauptbahnhofes seit 2010, Fertigstellung wohl 2025) ist der Kessel ein einzige Baustellen-Umleitungen-Verkehrskatastrophe. Zu Fuß geht es am schnellsten, über den Schloßpatz, vorbei an der Oper und dem Landtag, durch eine Unterführung, erreichen wir das Gebäude. Der postmoderner Bau des Architekten James Stirling wurde 1984 errichtet und gilt als Meisterwerk dieses Stils in Deutschland.
Viele Worte machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen der Mittelmäßigkeit; das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenig Worte zu schließen.
Arthur Schopenhauer
Griechische Flaggen in Stuttgart? Wir hatten eher mit einer Demonstation für/gegen Israel an diesem Tag gerechnet. Die ganze Stadt erschien in blau-weiß oder den traditionellen Uniformen in rot-weiß. Viele Menschen säumten die abgesperrten Straßen. Anastasia war mit ihrer Familie gekommen und lachte so freudig, dass ich sie ansprach, um zu erfahren, was hier heute stattdfindet. Die griechische Nationalgarde hielt eine Parade ab, an der sich auch Schulen, Vereine und Organisationen beteiligten. Daher waren viele Menschen aus der Umgebung gekommen, die dieses Schauspiel sehen wollten.
Eine Woche später lösten wir das Geschenk für den Geburtstag unserer Freunde ein und waren gespannt auf eine kulinarische Stadtführung durch den Stuttgarter Westen. Frau Amos empfing uns an der Johanneskirche direkt am Feuersee. Die Gruppe war überschaubar und sogar ein Hund durfte mit. Spannendes aus der Historie dieses Stadtteils, seiner Architekur und den Bewohnern erwartete uns. Souverän weckte Frau Amos unser Interesse und beantwortete Fragen, blieb nicht unpolitisch und auch kritisch zur Umgestaltung der Stadt (Applaus!!). Ich mochte diese Art und dieses Engagement, mit der sie uns durch zumindest für mich unbekannte Straßen führte.
Die Künstler kamen aus der Provinz in die Städte, weil man die Stadt braucht, um an ihr zu wachsen, und die Provinz, um zu gedeihen.
Roger Blacan
Auch in Stuttgart scheiden sich die Geister am Verkehrskonflikt (Rad vs. Auto).
Zeit für einen Kaffee und eine kleine Stärkung in der hippen Rösterei Mókuska in der Johannesstraße. Köstlich.
Wer Stil hat, überlebt alle Epochen.
Fritz P. Rinnhofer
Überall in der Stadt finden sich kleine Geschichten. Man muss nur sehen, hören, riechen – sich einfach mit allen Sinnen aufmerksam dem Treiben hingeben. Ich liebe es diese kleinen Momente einzufangen und zu konservieren.
Baulich findet sich sehr unterschiedliches in Stuttgart. Der Krieg hat auch hier viel zerstört, aus vorherigen Epochen sind dennoch einige Schmuckstücke erhalten geblieben. Auch Neues entsteht immer wieder. Interessante Wohnkonzepte, die alle Generationen mitnehmen und sich mit ruhigen autofreien Innenhöfen so gar nicht nach Großstadt anfühlen.
Wer Lust hat in das kleine Reich der feinen Kost einzutauchen, sollte einen Abstecher in den Feinkostladen Panzer in der Arndtstraße machen. Seit 1980 gibt es dort alles was das Herz begehrt mit herzlicher Beratung von Silvia Panzer und ihrem Team. Die dort servierte Suppe und das Dessert waren ein Traum. Nicht ohne einen Einkauf kommt man hier wieder heraus.
Mit Ost und West werden wir in dieser Gesellschaft schon klarkommen. Schwieriger wird es mit ›oben‹ und ›unten‹.
Regine Hildebrandt
Im „Le Tonneau Bistro“ in der Eberhardstraße endete die Tour. Dominique Gueydan, der Besitzer des sehr typsich französischen kleinen Restaurants verwöhnte uns mit Wein, Oliven, belegten Baguettes, Flammkuchen und seiner guten Laune. Es wurde dann schon fast dunkel, bis wir fröhlich und inspiriert den Heimweg antraten. Ein großes Dankeschön an Silke Amos (https://www.kulturfuehrungen.de/) für diese erlebnisreiche und interessante Tour.
Ich kann wieder ein Zwiegespräch mit mir führen und starre nicht so vollständig ins Leere. Nur auf diesem Wege gibt es für mich eine Besserung.
Franz Kafka
„Warum fotografierst du Blumen? Wolltest du doch eigentlich nicht mehr.“ Wurde sie gefragt. „Zu banal, zu einfach, zu wenige Emotionen in den Bildern waren deine Worte. Und jetzt wieder Tulpen, Gänseblümchen, Obstblüten und Gras! Warum, warum?“
„Banal sind sogar Menschen, oft sogar, immer mehr und Emotionen verstecken sie nur zu gerne. Alles wird gut! Kann ich nicht mehr hören. Sich nicht angreifbar machen ist die Maxime der Gegenwart.“ Antwortete sie. „Das leuchtende Gelb der Tulpen ist so kraftvoll, dass mein Herz mitstrahlen möchte. Sie zwingen einen geradezu einen freudigen Moment auf, bei ihrem Anblick. Ich ziehe Kraft aus der Natur, dem Duft, der Stille, dieser Präsenz, mit der sie sich jedes Frühjahr aufs Neue hervorkämpft aus den Tiefen der Erde und sich so prachtvoll entfaltet.“
„Jeder kann Blumen fotografieren. Es gibt tausende Abbildungen. Es braucht einfach keine neuen Fotos mehr von Blumen.“ wurde ihr entgegen gehalten.
„Fotos sind immer nur Momente, ein kurzes Flackern der Welt. Schon nach dem Auslösen sind sie zur Vergangenheit verdammt. Es gibt natürlich bedeutende Fotografien, die sich einem ins Hirn brennen. Und es gibt die leisen und unscheinbaren, nicht mehr und nicht weniger. Diese wollen nur erfreuen, beglücken, zufriedenstellen, erheitern und vielleicht ein wenig schön sein. Ohne Schönheit halte ich es nicht aus. Punkt.“
„Aber sie sind so stumm!“ raunte es zurück. „Die Menschen brauchen viel mehr Stille, als sie glauben. Auch das ausgiebige Schweigen könnte wieder öfter ausprobiert werden. Ein Vorteil in der Natur, Pflanzen schweigen quasi beruflich. Ich kann ihnen meine Sorgen und Nöte oder meine Freude und Begeisterung zuflüstern, sie hören geduldig zu und verurteilen nicht. Eine kleine Einkehr nach Innen tut so gut. Körper und Geist finden zusammen und es stellt sich eine Zufriedenheit ein, die alles andere für einige Momente vergessen lässt.“
„Niemand wird sie finden, deine schönen Fotos!“ hallte es ihr entgegen.
„Das ist nicht wichtig. Es gibt unzählige Bücher, Gedichte, Filme, Lieder, Gemälde … die niemand zu sehen, zu lesen, zu hören bekommt. Sie bleiben verborgende Schätze und sind doch in der Welt. Genügen allein dem Vergnügen des Erschaffenden. Ohne Anspruch auf Gewinn. Und wer sie entdeckt und zu schätzen weiß, der hat den Jackpot gewonnen.
Der Sinn der Kunst ist nicht, zu erklären, oder erklärt zu werden, auch nicht, jedermann zu gefallen. Der Sinn der Kunst, so sie denn einen hat, ist doch das Zwiegespräch, die sie auslösen kann, das Finden oder Abgrenzen innerhalb einer Diskussion.
Melanie P. Knecht
„Ganz ehrlich, ich mag ihn, deinen Blick auf die Welt. Mach einfach weiter.“
„Geh Du vor“, sagte die Seele zum Körper, „auf mich hört er nicht. Vielleicht hört er auf Dich.“ „Ich werde krank werden, dann wird er Zeit für Dich haben“, sagte der Körper zur Seele.
Ulrich Schaffer
Der Körper, Hülle der jungen Frau, muss schon leisten in diesen Zeiten. Der Geist, schwirrend in jeder Faser, muss alles geben in diesen Zeiten. Am Anschlag, zum Zerreißen gespannt – beides. Wer gibt als erstes auf?
Erschöpfung, Verdrängung, Verzweiflung, Verweigerung – Zusammenbruch. Die Pause war doch fast ein ganzes Jahr, bis dieser Kreislauf von Neuem begann. Rückzug auf die Urbedürfnisse, Nahrung für Körper und Seele sind gefordert.
Ohnmacht, Hilflosigkeit, Bedauern, Reaktionen – Liebe und Zuversicht schenkend. Eine Herausforderung für alle Beteiligten. Mit offenen Arme, Worten und Geduld begleiteten wir sie durch schwere Tage. Ist irgendwo ein Licht am Ende des Tunnels?
Sie schreit es kraftvoll in die Welt mit all ihren Sinnen, ich bin stark, eine Kämpferin, ich werde es überwinden, ich kann mir helfen lassen und lernen mir selbst zu Helfen. Prozesse starten, verändern das Denken und ihr Handeln. Geben Kraft für alles was vor ihr liegt.
Die Schönheit der Welt, die Magie des Zufalls, die Liebe von Menschen – sie kann es wieder sehen, spüren und annehmen. Die dunklen Schatten der vergangenen Monate streifen sie ein letztes Mal bevor sie sich in Luft auflösen. Sie dürfen gehen!
Um den Theetisch saßen wir, Oder tranken wir Kaffee oder Chokolade, Ein Traum nur war es, Und alles lebt nur wie Schatten noch, Wie Bilder aus einer Laterne magika In meiner Erinnerung. Deutlich nur seh ich Zur Rechten mir das kleine zierliche Mädchen, Zwölfjährig, kaum älter. Unendlich traurig Sah es mit großen blauen Augen In seinen Schoß, Die einzige Betrübte in unserem heitern, Scherzbelebten Kreis.
Was fehlt dir Alice? Warum denn so still heute? Ach, so klang es von rosigen Kinderlippen, Ich bin so schwermütig heute – Ich trage Gedichte.
Was? du trägst Gedichte, Alice? Und endloses Gelächter umschwirrte dich, Übermütig, Wie ausgelassene Tagvögel Die alte ernste, unzufriedene Eule umspotten. Ich trage Gedichte… Wachend hör‘ ich immer noch Diese zaghafte, traurige Antwort, Die mich so tief rührte, Aus Kindermund so tief rührte.
Ich trage Gedichte… Was wissen die anderen, Leicht frohen Alltagsseelen, Wie einem zu Mute ist, Wie uns beiden zu Mute ist, Alice, Wenn wir Gedichte tragen. Wie weh, wie krank unsere Seele sein kann, Wenn’s drin keimt, Wenn’s drin zuckt, Mit ersten leisen Regungen, In Schmerzen empfangen, Mit Schmerzen geboren, Seele von unserer Seele, Blut von unserem Blut.
Kleine schmerzdurchzuckte Dichterin, Freue dich. Dein Reich war der Traum. Die Sonne des Morgens küsste dich auf, Dich und deine Schmerzen, Wie den Nachttau von den Blättern der Blumen, Denen du in ernster Lieblichkeit glichst.
Ich aber lebe. Mein Tag ist kein Traum, Und wenn ich schwermütig bin Und Gedichte trage, Darf ich’s nicht einmal sagen am Theetisch. Sie würden mich auslachen, Wie sie dich auslachten, Nur thut’s noch zehnmal weher, Am hellen, wirklichen Tage ausgelacht zu werden, Und unsere Schmerzen Sind ihnen immer lächerlich. Sie verstehen uns nicht. Wie schön, sagen sie, dichten zu können, Wenn wir es doch auch könnten. Ist es sehr schwer mein Herr?
Gustav Falke
Sie nennt es Schicksal, glückliches Schicksal. Wieder nur 18 Monate. Zu kurz? Lange genug? Hauptsache überhaupt! Das Wunderland lockte mit Verheisungen, neuen Abenteuern, persönlichen Geschichten, fremden Kulturen, Sprungbrett in andere Länder. Das erwies sich nur zum Teil als realistisch. Vieles blieb Traum, Sehnsucht und am Ende Demut, es trotz aller Umstände ausgehalten zu haben. Oft der Verzweiflung nahe, was wird bleiben?
Erinnerungen an einzigartige Erlebnisse, Freundschaften, Wärme im ganzen Körper, aber auch dieses Gefühl von Enge, Angst, Eingesperrt zu sein für 18 lange Monate. Alice nimmt sie alle mit, diese Erlebnisse und trägt sie wie Gedichte im Herzen für immer.
Noch einmal besucht sie die Orte des Wunderlandes, dass sie sich genau so vorgestellt hatte und dann doch immer auf eine neue Art erleben durfte. Das Überraschungen parat hielt und Unerwartetes aus dem Mantel zauberte.
Gewächshäuser, in denen die Pflanzen der ganzen Welt sprießen, sogar Wasserfälle zu bestaunen sind, die doch eigentlich in die Täler und Schluchten der Gebirge fallen sollen. Nebelschwaden ziehen an den üppigen Gewächsen vorbei. Eingesperrter Regenwald, dem geht es wie Alice. Blumen aus Glas, schlafende Hasen aus Pergament, fauchende Drachen in Holz gebannt. Draußen lockt ein runder Himmelsstürmer in seinen Bann. Hin- und Hergerissen zwischen Ablenkungen aller Art.
Der Himmel voller Papiervögel mit den Wünschen der Kinder, Frauen, Männer und Alten darauf. Sie wüsste diesen „Einen Wunsch“ auf Anhieb nicht. Vielleicht, dass noch mehr sehend und staunend und begreifend durch die Welt schreiten sollten.
Des Nachts schleicht Alice um die Gassen des großen Tempels. Laternen säumen das Gebälk, ein Lichtertraum in dunklen Zeiten. Die meisten nehmen gar keine Notiz davon, Touristen kommen schon lange keine mehr, die Einheimischen sitzen mit einer Zigarette im Mund unter dem orangenen Licht und genießen den Feierabend nach Stunden der Arbeit. In den Gassen ist es ruhiger als üblich, Alice findet das schön für den Moment. Auch wenn sie sich manchmal den Trubel vergangener Tage vorstellt, als sich hier Massen durchwälzten, auf der Suche nach … ja nach was?
Das Authentische ist eher in diesen ruhigen Zeiten sichtbar. Menschen mit Sorgenfalten auf der Stirn, weil keine Kunden mehr die Souveniers in den Läden haben wollen. Die um Kundschaft bittenden Restaurantbesitzer, die ihre Räume immer wieder schließen müssen oder nur sehr wenige bedienen dürfen, weil die Menschen Angst haben, sich anzustecken und ohne Musik, Tanz und Freude das Essen nur zum Sattwerden dient und kein Erlebnis mehr ist.
Manch einer von den Verzweifelten schafft sich einen Vogel an, um wenigstens etwas Gesellschaft zu haben. Der arme Pieps ist wirklich zu bedauern, am liebsten würde ihm Alice die Fußfessel abschneiden und ihn davon fliegen lassen. Wer eine Bar betreibt hat Schwein gehabt. Trost suchen die Menschen leider gerne im Alkohol. Manchmal kann man es nicht anders ertragen, was sich die Herren in den oberen Reihen für die Menschen darunter ausdenken, um sie in Sicherheit zu glauben.
Das Mondfest verfliegt so schnell, wie die Frau im Mond mit ihrem Hasen, die der Legende nach dort lebt. Eine von vielen Legenden über das Mondfest berichtet von einem Helden namens Hou Yi, welcher die Erde rettete, in dem er neun von zehn am Himmel stehenden Sonnen niederschoss. Als Dank erhielt er von der Königin des Himmels ein Unsterblichkeits-Elixier. Doch Hou Yi wollte bei seiner Geliebten Chang’e bleiben und ließ sie über den Trank wachen, anstatt ihn selbst zu trinken. Eines Tages versuchte eine Schülerin von Hou Yi in Besitz des Elixiers zu gelangen. Keinen anderen Ausweg sehend, trank Chang’e die Flüssigkeit und schwebte darauf in den Himmel hinauf. Um ihren Mann aus der Ferne beobachten zu können, ließ sie sich auf dem Mond wieder und wird seither am Mondfestival durch Opfergaben um Glück gebeten.
Du mußt glauben, du mußt wagen, Denn die Götter leihn kein Pfand, Nur ein Wunder kann dich tragen In das schöne Wunderland.
Es war Alice ein Fest und eine Freude, die Superbäume zu bestaunen. Wie aus einem Science-Fiction-Film erheben sie sich über ihrem Kopf, leuchten und funkeln. Kinder sollten staunend die Köpfe in den Nacken legen und dem Schauspiel zusehen. Lachend zwischen diesen Baumbauten tanzen und singen. Und dennoch vermisst sie beim Anblick der Giganten, das Rauschen der Blätter, wenn sich die Baumkronen im Wind wiegen. Das Klopfen eines Spechts beim Bau seiner Höhle. Das Knacken der Äste, wenn sie durchs Unterholz schleicht. Den Duft des Waldes im Herbst. Den Schauer auf der Haut, wenn sich leichter Nebel darauf niedersetzt. Nichts kann reales Leben ersetzen.
Zwischen den Glitzerfassaden findet Alice gerne die alten Häuser mit den kleinen bunten Kacheln. Genießt beim Schlendern einen Hefebun gefüllt mit Bohnenpaste und bestaunt die bunten Farben der Fassaden. Im Seconhandladen schlüpft sie in Kleider aus den 60er Jahren. Oder doch lieber die goldene Sau? Amos der Straßentiger sitzt wie immer an seinem Aussichtspunkt und ist wohl ebenso jeden Tag auf Neue erstaunt, wieviele Klimaanlagen am Nachbarhaus installiert sind. Trotz Fell scheint ihm die manchmal unerträgliche Hitze nichts zu bedeuten, einfach nicht oder nur langsam bewegen ist eine Devise. Alice wird es ihm nachmachen.
An der Promenade speit der Merlion konstant seine Wasserfontäne zur Freude der Schaulustigen oder der Brautpaare ins Becken. Die in den Himmel hochgeschossenen Wolkenkratzer in seinem Rücken lassen ihn winzig erscheinen. Gegenüber trohnt über allen das Hotelschiff, wie ein gigantisches Ufo. Mit Palmen bepflanzt, die schwindelfrei sein müssen, hoch über der Stadt, ein kleines Stück näher an den Sternen.
Denn ist dem Menschen jedwede Freude in der Brust vernichtet, dann ist sein Leben nur ein eitler Schein, er schleicht nur als ein Toter durch das Leben. Ob ihm der Reichtum füllet Haus und Hof, ob eine Krone um das Haupt ihm strahlt, fehlt ihm der Frohsinn, dann ist alles dies nicht soviel wert als einer Flamme Schatten.
Sophokles
Die Mauern der altehrwürdigen Dame erwarteten Alice. Noch einmal wollte sie eine Reise in einen Teil der Geschichte dieser Stadt antreten, abtauchen für Minuten, Stunden, Tage. Voller Nostalgie, Glanz und Prunk. Frisch renoviert erstrahlt die alte Dame in einer umwerfenden Pracht und es fühlte sich ein wenig wie Heimkommen an, als Alice durch die langen Gänge schreitet, die Zimmertüren an ihr vorbei ziehen. Charlie Chaplin residierte hier also ebefalls, lange her. Freundliche Menschen begegneten ihr. Machten den Aufenthalt zu einem sehr speziellen Erlebnis. Das regnerische Wetter passte perfekt zur Kulisse der weißen Säulen und schwarzen Balken, dem gelungenen Interior aus Alt & Neu. Feinster Tee wärmte ihren Körper und sie fühlte sich sehr willkommen. Die Stunden verflogen, die uralte Uhr im Foyer zeigt die Zeit schon mehr als 140 Jahre an.
Früher konnte die alte Dame sogar das Meer sehen, direkt vor ihrer Haustüre lag der Strand, die Gäste mussten nur die Straße überqueren, um die Füße ins Wasser zu tippen. Heute ist das komplette Ensamble an Gebäuden und kleinen Gärten umringt von der Großstadt und ihren Hochhäusern. Den Gästen bietet der klassisch angelegte Pool eine erfrischende Abkühlung. Und natürlich musste auch Alice vom berühmten Singapur Sling versuchen, sich die Süße und Raffinesse dieses speziellen Drinks auf der Zunge zergehen lassen, der urspründlich als alkoholischer Fruchtsaft getarnt den Damen serviert wurde, die neben ihren Männern auch gerne ein bisschen Spaß haben wollten. In der legendären Longbar steht die einzige Mixmaschine, die extra für die gleichzeitge Herstellung mehrerer Slings konstruiert wurde. Man komme und staune, wenn der Barkeeper sie mit Muskelkraft in Gang setzt.
Zweifel
Ich sitz auf einem falschen Schiff. Von allem, was wir tun und treiben, und was wir in den Blättern schreiben, stimmt etwas nicht: Wort und Begriff.
Der Boden schwankt. Wozu? Wofür? Kunst. Nicht Kunst. Lauf durch viele Zimmer. Nie ist das Ende da. Und immer stößt du an eine neue Tür.
Es gibt ja keine Wiederkehr. Ich mag mich sträuben und mich bäumen, es klingt in allen meinen Träumen: Nicht mehr.
Wie gut hat es die neue Schicht. Sie glauben. Glauben unter Schmerzen. Es klingt aus allen tapfern Herzen: Noch nicht.
Ist es schon aus? Ich warte stumm. Wer sind Die, die da unten singen? Aus seiner Zeit kann Keiner springen. Und wie beneid ich Die, die gar nicht ringen Die habens gut. Die sind schön dumm.
Ihr Liebstes bleiben dennoch die Ecken in der Stadt, die gerade nicht perfekt sind. Genau diese wird Alice am intensivsten vermissen. Das einfache Leben, den Alltag der Menschen in diesen Gegenden, die unterschiedlichen Stile in der Architektur, das komplette Gegenteil der Glitzerfassaden in der City. Hier ist nichts perfekt, der Zufall spielt seinen Charme in vollen Zügen aus. Hier kann Alice stundenlang dem Treiben zuschauen, kleine Schätze entdecken, an denen viele einfach vorbeilaufen. In authentischen kleinen Speiselokalen die Köstlichkeiten der unterschiedlichsten Küchen ausprobieren. Was wäre diese Stadt nur ohne diese Viertel?
Es wird Zeit für Alice „Ade“ zu sagen und das Wunderland zu verlassen. Hin- und Hergerissen zwischen Abschiedsschmerz und Vorfreude, Wehmut und Erwartungen. Es kommt immer wieder eine neue Herausforderung um die Ecken, und manchmal einfach zu früh, als eigentlich geplant. Das Leben schenkt einem Erfahrungen und Alice nimmt sie dankbar an, jede Einzelne. Freunde gefunden, Freundschaften geschlossen, die halten mögen und sich tragen auch über Kontinente hinweg. Freude erlebt, Trauer gespürt, Hoffnungen gehegt, Enttäuschungen ausgehalten, auch Gefühle brauchen Achterbahnfahrten, sonst spürt man es nicht, das Leben in all seinen Facetten.
Abschied
Ein Gedicht für alle Tage ist nicht leicht zu schreiben. Was sei denn so alltäglich, um in Erinnerung zu bleiben?
Was kann man schreiben, wenn man geht, gegen die Vergessenheit, die mit der Uhr sich weiterdreht?
Für alle Tage wünsch ich Glück, Kraft und Zufriedenheit. Und schaut dahin, wo alles vor Euch liegt. Das Gestern ist so weit.
Das Morgen ist voll Abenteuer, voll neuer Chancen für das Leben. Doch diese Zukunftsperspektive, würde es ohne Vergangenheit nicht geben.
Drum schreib ich auch dazu ein paar Zeilen, für jeden Tag mit Euch ein Danke. Es war so schön, so lehrreich, schwer, daß ich noch manchmal etwas wanke.
War die Entscheidung wirklich gut? Es gab wie immer der Wege zwei. Und neue Wege sind noch nicht so ausgetreten, das macht sie schwierig, doch uns selbst auch frei.
So gehen wir weiter unsrer Wege, die sich heute trennend schneiden. Doch wer weiß, ob sie nicht eines Tages, sich wieder kreuzen und begleiten.
Katja Uhlich
Die letzten Wochen wird Alice nutzen, genießen, gestalten. Freunde treffen, Umarmungen und Geschenke verteilen; noch einige Brote in den Ofen schieben; den einen oder anderen Kaffee oder eine scharfe Laksa-Suppe schlürfen. Endlich die echten Filme in die analogen Kameras einlegen und belichten, hoffentlich einige Singapurer dazu bringen, ihre Maske für ein Foto abzulegen.
Dann wird Alice ihren Koffer packen, „ByE ByE Singapur“ flüstern und nach 521 Tagen oder 12.504 Stunden das Wunderland verlassen. Erinnerungen im Gepäck, Freude im Herzen, Aufregung in der Seele für einen weiteren Neubeginn.