Zeit Abschied zu nehmen von dieser inspirierenden Stadt und ihren Menschen, Geschichten, Motiven. Noch einmal will sie eintauchen in die Umgebung des Montmartre und folgt an diesem letzten Tag den Straßen in Richtung des Hügels. Zuvor bestaunte sie an diesem Morgen eine Fotoausstellung im Jeu de Paume der Künstlerin Tina Barney.
Ein bisschen Wehmut liegt auf ihrem Herzen, sie mag keine Abschiede. Nie weiß sie, ob es für immer sein wird oder sich noch einmal die Chance bietet eine Stadt, ein Land, einen Menschen wiederzusehen. Das Leben ist allerdings voller Abschiede. Jeder Atemzug verabschiedet sich beim Ausatmen für immer aus dem Körper. Sie weiß, es ist kein Abschied für immer. Es muss ein nächstes Mal geben!
Ein junger Mann sitzt mit dunkler Kleidung auf einem der fünf knallgelben Plastikstühle in der Metrostation, lässig hat er sein rechtes Bein übergeschlagen, vor ihm hat er einen Elektroroller geparkt. In seiner Hand hält er ein Telefon, auf dem vielleicht gerade eine Nachricht eingeht, mit dem sich seine Freundin nocht einmal verabschiedet. Sie studiert in Lillé und er hat sie zum Bahnhof gebracht. Vermutlich interessiert in das Kinoplakat hinter ihm überhaupt nicht. In einem Monat könnte einer der beiden Darsteller Präsident der USA werden und die Welt wird neue Herausforderungen meistern müssen. Abschiede auf vielen Ebenen.
Sie steift wie eine Katze durch das bunte Viertel, bleibt hier und da stehen, um das Geschehen und die Vielfalt aufzunehmen. Schaut in alle Richtungen, in Schaufenster und offene Türen, erfreut sich an den kleinen Dingen, die jede Gasse oder Straßenecke zu bieten hat. Die Taube auf dem Dach der Drogerie putzt ihr Gefieder. Freundlich grüßt der Besitzer vor seinem kleinen Café und lädt sie ein wiederzukommen, wenn er geöffnet hat.
82 Bd de Clichy, 75018 Paris, Frankreich – hier steht die berühmte rote Windmühle des Dinner- Theaters Moulin Rouge, die jeder Tourist zumindest einmal gesehen haben will. Am späten Morgen ist es in den Straßen des Vernügunsviertels beschaulich ruhig. Der Dreck der vergangenen Nacht wird weggeputzt, kleine Reparaturen vorgenommen, die aktuellen Zeitungen aus dem Kiosk an Kunden verkauft, viele der Restaurants haben noch geschlossen. Die Nacht ist hier die belebtere Zeit, wenn alle kommen, um die Lichter zu bestaunen oder sich Freude zu erkaufen.
Warum liegt dieser Mensch mitten auf dem Gehweg? Eingepackt wie eine Mumie?
Der Mensch ist eine Frage. Menschsein ist die Antwort.
André Brie
Zum Abschluss kehrt sie in eines dieser typischen kleinen Restaurants ein, die hier in unzähliger Anzahl zu finden sind. Sie lässt sich Tee und eine Gallette mit frischen Feigen, Nüssen und Honig bringen. Bewundert die attraktive Bedienung, die eher in einem französischen Film mitspielen könnte. Schaut von der Galerie aus auf die belebte Straße unter ihr, auf der unablässig Passanten vorbeiströmen. Gegenüber wird ein Appartment renoviert. Die beiden Bauarbeiter machen gerade eine Zigarettenpause. Sie träumt sich in diese Wohnung und stellt ein Leben hier in Montmartre vor. Sie könnte die Frau kennenlernen, ihre Geschichte hören, sie fotografieren … Wer weiß …
An eine, die vorüberging:
Der Straßenlärm betäubend zu mir drang. In großer Trauer, schlank, von Schmerz gestrafft, Schritt eine Frau vorbei, die mit der Hand gerafft den Saum des Kleides hob, der glockig schwang; anmutig, wie gemeißelt war das Bein. Und ich, erstarrt, wie außer micht gebracht, Vom Himmel ihrer Augen, wo ein Sturm erwacht, sog Süße, die betört, und Lust, die tötet, ein. Ein Blitz … dann Nacht! – Du Schöne, mir verloren, durch deren Blick ich jählings neu geboren, werd in der Ewigkeit ich dich erst wiedersehn? Dein Ziel ist mir und dir das meine unbekannt, Dich hätte ich geliebt, und du hast es geahnt!
Um den Theetisch saßen wir, Oder tranken wir Kaffee oder Chokolade, Ein Traum nur war es, Und alles lebt nur wie Schatten noch, Wie Bilder aus einer Laterne magika In meiner Erinnerung. Deutlich nur seh ich Zur Rechten mir das kleine zierliche Mädchen, Zwölfjährig, kaum älter. Unendlich traurig Sah es mit großen blauen Augen In seinen Schoß, Die einzige Betrübte in unserem heitern, Scherzbelebten Kreis.
Was fehlt dir Alice? Warum denn so still heute? Ach, so klang es von rosigen Kinderlippen, Ich bin so schwermütig heute – Ich trage Gedichte.
Was? du trägst Gedichte, Alice? Und endloses Gelächter umschwirrte dich, Übermütig, Wie ausgelassene Tagvögel Die alte ernste, unzufriedene Eule umspotten. Ich trage Gedichte… Wachend hör‘ ich immer noch Diese zaghafte, traurige Antwort, Die mich so tief rührte, Aus Kindermund so tief rührte.
Ich trage Gedichte… Was wissen die anderen, Leicht frohen Alltagsseelen, Wie einem zu Mute ist, Wie uns beiden zu Mute ist, Alice, Wenn wir Gedichte tragen. Wie weh, wie krank unsere Seele sein kann, Wenn’s drin keimt, Wenn’s drin zuckt, Mit ersten leisen Regungen, In Schmerzen empfangen, Mit Schmerzen geboren, Seele von unserer Seele, Blut von unserem Blut.
Kleine schmerzdurchzuckte Dichterin, Freue dich. Dein Reich war der Traum. Die Sonne des Morgens küsste dich auf, Dich und deine Schmerzen, Wie den Nachttau von den Blättern der Blumen, Denen du in ernster Lieblichkeit glichst.
Ich aber lebe. Mein Tag ist kein Traum, Und wenn ich schwermütig bin Und Gedichte trage, Darf ich’s nicht einmal sagen am Theetisch. Sie würden mich auslachen, Wie sie dich auslachten, Nur thut’s noch zehnmal weher, Am hellen, wirklichen Tage ausgelacht zu werden, Und unsere Schmerzen Sind ihnen immer lächerlich. Sie verstehen uns nicht. Wie schön, sagen sie, dichten zu können, Wenn wir es doch auch könnten. Ist es sehr schwer mein Herr?
Gustav Falke
Sie nennt es Schicksal, glückliches Schicksal. Wieder nur 18 Monate. Zu kurz? Lange genug? Hauptsache überhaupt! Das Wunderland lockte mit Verheisungen, neuen Abenteuern, persönlichen Geschichten, fremden Kulturen, Sprungbrett in andere Länder. Das erwies sich nur zum Teil als realistisch. Vieles blieb Traum, Sehnsucht und am Ende Demut, es trotz aller Umstände ausgehalten zu haben. Oft der Verzweiflung nahe, was wird bleiben?
Erinnerungen an einzigartige Erlebnisse, Freundschaften, Wärme im ganzen Körper, aber auch dieses Gefühl von Enge, Angst, Eingesperrt zu sein für 18 lange Monate. Alice nimmt sie alle mit, diese Erlebnisse und trägt sie wie Gedichte im Herzen für immer.
Noch einmal besucht sie die Orte des Wunderlandes, dass sie sich genau so vorgestellt hatte und dann doch immer auf eine neue Art erleben durfte. Das Überraschungen parat hielt und Unerwartetes aus dem Mantel zauberte.
Gewächshäuser, in denen die Pflanzen der ganzen Welt sprießen, sogar Wasserfälle zu bestaunen sind, die doch eigentlich in die Täler und Schluchten der Gebirge fallen sollen. Nebelschwaden ziehen an den üppigen Gewächsen vorbei. Eingesperrter Regenwald, dem geht es wie Alice. Blumen aus Glas, schlafende Hasen aus Pergament, fauchende Drachen in Holz gebannt. Draußen lockt ein runder Himmelsstürmer in seinen Bann. Hin- und Hergerissen zwischen Ablenkungen aller Art.
Der Himmel voller Papiervögel mit den Wünschen der Kinder, Frauen, Männer und Alten darauf. Sie wüsste diesen „Einen Wunsch“ auf Anhieb nicht. Vielleicht, dass noch mehr sehend und staunend und begreifend durch die Welt schreiten sollten.
Des Nachts schleicht Alice um die Gassen des großen Tempels. Laternen säumen das Gebälk, ein Lichtertraum in dunklen Zeiten. Die meisten nehmen gar keine Notiz davon, Touristen kommen schon lange keine mehr, die Einheimischen sitzen mit einer Zigarette im Mund unter dem orangenen Licht und genießen den Feierabend nach Stunden der Arbeit. In den Gassen ist es ruhiger als üblich, Alice findet das schön für den Moment. Auch wenn sie sich manchmal den Trubel vergangener Tage vorstellt, als sich hier Massen durchwälzten, auf der Suche nach … ja nach was?
Das Authentische ist eher in diesen ruhigen Zeiten sichtbar. Menschen mit Sorgenfalten auf der Stirn, weil keine Kunden mehr die Souveniers in den Läden haben wollen. Die um Kundschaft bittenden Restaurantbesitzer, die ihre Räume immer wieder schließen müssen oder nur sehr wenige bedienen dürfen, weil die Menschen Angst haben, sich anzustecken und ohne Musik, Tanz und Freude das Essen nur zum Sattwerden dient und kein Erlebnis mehr ist.
Manch einer von den Verzweifelten schafft sich einen Vogel an, um wenigstens etwas Gesellschaft zu haben. Der arme Pieps ist wirklich zu bedauern, am liebsten würde ihm Alice die Fußfessel abschneiden und ihn davon fliegen lassen. Wer eine Bar betreibt hat Schwein gehabt. Trost suchen die Menschen leider gerne im Alkohol. Manchmal kann man es nicht anders ertragen, was sich die Herren in den oberen Reihen für die Menschen darunter ausdenken, um sie in Sicherheit zu glauben.
Das Mondfest verfliegt so schnell, wie die Frau im Mond mit ihrem Hasen, die der Legende nach dort lebt. Eine von vielen Legenden über das Mondfest berichtet von einem Helden namens Hou Yi, welcher die Erde rettete, in dem er neun von zehn am Himmel stehenden Sonnen niederschoss. Als Dank erhielt er von der Königin des Himmels ein Unsterblichkeits-Elixier. Doch Hou Yi wollte bei seiner Geliebten Chang’e bleiben und ließ sie über den Trank wachen, anstatt ihn selbst zu trinken. Eines Tages versuchte eine Schülerin von Hou Yi in Besitz des Elixiers zu gelangen. Keinen anderen Ausweg sehend, trank Chang’e die Flüssigkeit und schwebte darauf in den Himmel hinauf. Um ihren Mann aus der Ferne beobachten zu können, ließ sie sich auf dem Mond wieder und wird seither am Mondfestival durch Opfergaben um Glück gebeten.
Du mußt glauben, du mußt wagen, Denn die Götter leihn kein Pfand, Nur ein Wunder kann dich tragen In das schöne Wunderland.
Es war Alice ein Fest und eine Freude, die Superbäume zu bestaunen. Wie aus einem Science-Fiction-Film erheben sie sich über ihrem Kopf, leuchten und funkeln. Kinder sollten staunend die Köpfe in den Nacken legen und dem Schauspiel zusehen. Lachend zwischen diesen Baumbauten tanzen und singen. Und dennoch vermisst sie beim Anblick der Giganten, das Rauschen der Blätter, wenn sich die Baumkronen im Wind wiegen. Das Klopfen eines Spechts beim Bau seiner Höhle. Das Knacken der Äste, wenn sie durchs Unterholz schleicht. Den Duft des Waldes im Herbst. Den Schauer auf der Haut, wenn sich leichter Nebel darauf niedersetzt. Nichts kann reales Leben ersetzen.
Zwischen den Glitzerfassaden findet Alice gerne die alten Häuser mit den kleinen bunten Kacheln. Genießt beim Schlendern einen Hefebun gefüllt mit Bohnenpaste und bestaunt die bunten Farben der Fassaden. Im Seconhandladen schlüpft sie in Kleider aus den 60er Jahren. Oder doch lieber die goldene Sau? Amos der Straßentiger sitzt wie immer an seinem Aussichtspunkt und ist wohl ebenso jeden Tag auf Neue erstaunt, wieviele Klimaanlagen am Nachbarhaus installiert sind. Trotz Fell scheint ihm die manchmal unerträgliche Hitze nichts zu bedeuten, einfach nicht oder nur langsam bewegen ist eine Devise. Alice wird es ihm nachmachen.
An der Promenade speit der Merlion konstant seine Wasserfontäne zur Freude der Schaulustigen oder der Brautpaare ins Becken. Die in den Himmel hochgeschossenen Wolkenkratzer in seinem Rücken lassen ihn winzig erscheinen. Gegenüber trohnt über allen das Hotelschiff, wie ein gigantisches Ufo. Mit Palmen bepflanzt, die schwindelfrei sein müssen, hoch über der Stadt, ein kleines Stück näher an den Sternen.
Denn ist dem Menschen jedwede Freude in der Brust vernichtet, dann ist sein Leben nur ein eitler Schein, er schleicht nur als ein Toter durch das Leben. Ob ihm der Reichtum füllet Haus und Hof, ob eine Krone um das Haupt ihm strahlt, fehlt ihm der Frohsinn, dann ist alles dies nicht soviel wert als einer Flamme Schatten.
Sophokles
Die Mauern der altehrwürdigen Dame erwarteten Alice. Noch einmal wollte sie eine Reise in einen Teil der Geschichte dieser Stadt antreten, abtauchen für Minuten, Stunden, Tage. Voller Nostalgie, Glanz und Prunk. Frisch renoviert erstrahlt die alte Dame in einer umwerfenden Pracht und es fühlte sich ein wenig wie Heimkommen an, als Alice durch die langen Gänge schreitet, die Zimmertüren an ihr vorbei ziehen. Charlie Chaplin residierte hier also ebefalls, lange her. Freundliche Menschen begegneten ihr. Machten den Aufenthalt zu einem sehr speziellen Erlebnis. Das regnerische Wetter passte perfekt zur Kulisse der weißen Säulen und schwarzen Balken, dem gelungenen Interior aus Alt & Neu. Feinster Tee wärmte ihren Körper und sie fühlte sich sehr willkommen. Die Stunden verflogen, die uralte Uhr im Foyer zeigt die Zeit schon mehr als 140 Jahre an.
Früher konnte die alte Dame sogar das Meer sehen, direkt vor ihrer Haustüre lag der Strand, die Gäste mussten nur die Straße überqueren, um die Füße ins Wasser zu tippen. Heute ist das komplette Ensamble an Gebäuden und kleinen Gärten umringt von der Großstadt und ihren Hochhäusern. Den Gästen bietet der klassisch angelegte Pool eine erfrischende Abkühlung. Und natürlich musste auch Alice vom berühmten Singapur Sling versuchen, sich die Süße und Raffinesse dieses speziellen Drinks auf der Zunge zergehen lassen, der urspründlich als alkoholischer Fruchtsaft getarnt den Damen serviert wurde, die neben ihren Männern auch gerne ein bisschen Spaß haben wollten. In der legendären Longbar steht die einzige Mixmaschine, die extra für die gleichzeitge Herstellung mehrerer Slings konstruiert wurde. Man komme und staune, wenn der Barkeeper sie mit Muskelkraft in Gang setzt.
Zweifel
Ich sitz auf einem falschen Schiff. Von allem, was wir tun und treiben, und was wir in den Blättern schreiben, stimmt etwas nicht: Wort und Begriff.
Der Boden schwankt. Wozu? Wofür? Kunst. Nicht Kunst. Lauf durch viele Zimmer. Nie ist das Ende da. Und immer stößt du an eine neue Tür.
Es gibt ja keine Wiederkehr. Ich mag mich sträuben und mich bäumen, es klingt in allen meinen Träumen: Nicht mehr.
Wie gut hat es die neue Schicht. Sie glauben. Glauben unter Schmerzen. Es klingt aus allen tapfern Herzen: Noch nicht.
Ist es schon aus? Ich warte stumm. Wer sind Die, die da unten singen? Aus seiner Zeit kann Keiner springen. Und wie beneid ich Die, die gar nicht ringen Die habens gut. Die sind schön dumm.
Ihr Liebstes bleiben dennoch die Ecken in der Stadt, die gerade nicht perfekt sind. Genau diese wird Alice am intensivsten vermissen. Das einfache Leben, den Alltag der Menschen in diesen Gegenden, die unterschiedlichen Stile in der Architektur, das komplette Gegenteil der Glitzerfassaden in der City. Hier ist nichts perfekt, der Zufall spielt seinen Charme in vollen Zügen aus. Hier kann Alice stundenlang dem Treiben zuschauen, kleine Schätze entdecken, an denen viele einfach vorbeilaufen. In authentischen kleinen Speiselokalen die Köstlichkeiten der unterschiedlichsten Küchen ausprobieren. Was wäre diese Stadt nur ohne diese Viertel?
Es wird Zeit für Alice „Ade“ zu sagen und das Wunderland zu verlassen. Hin- und Hergerissen zwischen Abschiedsschmerz und Vorfreude, Wehmut und Erwartungen. Es kommt immer wieder eine neue Herausforderung um die Ecken, und manchmal einfach zu früh, als eigentlich geplant. Das Leben schenkt einem Erfahrungen und Alice nimmt sie dankbar an, jede Einzelne. Freunde gefunden, Freundschaften geschlossen, die halten mögen und sich tragen auch über Kontinente hinweg. Freude erlebt, Trauer gespürt, Hoffnungen gehegt, Enttäuschungen ausgehalten, auch Gefühle brauchen Achterbahnfahrten, sonst spürt man es nicht, das Leben in all seinen Facetten.
Abschied
Ein Gedicht für alle Tage ist nicht leicht zu schreiben. Was sei denn so alltäglich, um in Erinnerung zu bleiben?
Was kann man schreiben, wenn man geht, gegen die Vergessenheit, die mit der Uhr sich weiterdreht?
Für alle Tage wünsch ich Glück, Kraft und Zufriedenheit. Und schaut dahin, wo alles vor Euch liegt. Das Gestern ist so weit.
Das Morgen ist voll Abenteuer, voll neuer Chancen für das Leben. Doch diese Zukunftsperspektive, würde es ohne Vergangenheit nicht geben.
Drum schreib ich auch dazu ein paar Zeilen, für jeden Tag mit Euch ein Danke. Es war so schön, so lehrreich, schwer, daß ich noch manchmal etwas wanke.
War die Entscheidung wirklich gut? Es gab wie immer der Wege zwei. Und neue Wege sind noch nicht so ausgetreten, das macht sie schwierig, doch uns selbst auch frei.
So gehen wir weiter unsrer Wege, die sich heute trennend schneiden. Doch wer weiß, ob sie nicht eines Tages, sich wieder kreuzen und begleiten.
Katja Uhlich
Die letzten Wochen wird Alice nutzen, genießen, gestalten. Freunde treffen, Umarmungen und Geschenke verteilen; noch einige Brote in den Ofen schieben; den einen oder anderen Kaffee oder eine scharfe Laksa-Suppe schlürfen. Endlich die echten Filme in die analogen Kameras einlegen und belichten, hoffentlich einige Singapurer dazu bringen, ihre Maske für ein Foto abzulegen.
Dann wird Alice ihren Koffer packen, „ByE ByE Singapur“ flüstern und nach 521 Tagen oder 12.504 Stunden das Wunderland verlassen. Erinnerungen im Gepäck, Freude im Herzen, Aufregung in der Seele für einen weiteren Neubeginn.
Halle-Neustadt, im Volksmund auch Ha-Neu genannt, war eine Stadt im Bezirk Halle der Deutschen Demokratischen Republik und bezeichnet heute die halleschen Stadtteile Nördliche Neustadt, Südliche Neustadt, Westliche Neustadt und das Gewerbegebiet Neustadt.
Sie wurde am 12. Mai 1967 zur eigenständigen und kreisfreien Stadt erklärt, nachdem sie ursprünglich als neuer Stadtteil von Halle (Saale) erbaut worden war. Die Einwohnerzahl betrug 1972 51.600 und 1981 mehr als 93.000. Am 6. Mai 1990 wurde Halle-Neustadt wieder nach Halle eingemeindet. Die Bevölkerungszahl hat sich seitdem etwa halbiert und betrug Ende 2017 46.280 Einwohner.
Die eigentliche Stadtgeschichte begann 1958 mit einer Konferenz des Zentralkomitee der SED zum Thema „Chemieprogramm der DDR“, auf der die Ansiedlung von Arbeitskräften in der Nähe der Chemiestandorte der Buna-Werke in Schkopau und der Leunawerke in Leuna beschlossen wurde. Nach umfangreichen Standortuntersuchungen und Planungen im Bezirk Halle beschloss das Politbüro der SED am 17. September 1963 den Aufbau der „Chemiearbeiterstadt“, wobei die Stadt in größerer Entfernung von den Chemieanlagen errichtet wurde.
Quelle: Wikipedia
Das Zentrum von Halle-Neustadt: die 1970 bis 1975 erbaute und 2005/06 sanierte Neustädter Passage zog meine Aufmerksamkeit am 13. Mai 2018 in ihren Bann. Fünf Hochhäuser entlang der Magistrale in Mitten dieser Passage gelegen, sind alle leer gezogen. Wie eine Geisterstadt zwischen kleinen Geschäften und Imbissbuden, streben sie in den stahlblauen Himmel an diesem sonnigen Morgen. Kein Mensch ist hier unterwegs, es ist Sonntag und um 7 Uhr schläft auch Halle noch. Die einzigen letzten oder neuen Bewohner sind zahlreiche Tauben, die es sich auf den Balkonen, Betonvorsprüngen und Fenstersimsen gemütlich machen. Sie kreisen durch die Häuserschluchten und gurren einem neuen Tag entgegen. Ihre neugieren Blicke flogen mir auf Schritt und Tritt. Überall auf dem Boden findet sich Taubendreck und Gefieder, trotzdem verleihen sie dieser Szenerie etwas Schönes. Sie stören sich nicht daran, dass hier keiner mehr wohnen will. Sie haben eine Heimat hier gefunden und trotzen dem Treiben, das hier wohl an den Wochentagen herrscht.
Abgerissene Plakate, sogar eins aus dem Jahr 1994 zieren die Wände, die den Grafittimalern ideale Bedingungen bieten, sich hier auszutoben. Pandabären, Schriftzüge, Drachen und viele andere Motive lassen sich finden und bringen ein bisschen Farbe ins Spiel zwischen all dem Beton, der hier verbaut wurde.
Mich erschlägt die Größe und die Masse an Wohnungen beim wiederholten Blick nach oben. So viele Menschen haben hier Jahre ihres Lebens verbracht; Alltag, Nachbarschaft, Feiern, Abschiede, … Auszug.
Man kann sagen was man will, die 1990 Jahre brachten dem Osten nicht nur neue Währung und Freiheit. Gerade meine Generation „flüchtete“ weil es einfach zu wenige Arbeitsplätze gab. Auch eine gute Freundin zog weg aus Halle-Neustadt und lebt seit vielen Jahren im Südwesten der Republik. Oft führen Gespräche über unsere verlassene Heimat und die Chancen, die wie dort vielleicht gehabt hätten.
Die Zahl der Rückkehrer hat zwar mittlerweile wieder zugenommen, ob sie diese Massenflucht jemals ausgleich können, bleibt fraglich. Auch wir wagten den Schritt bisher nicht, die Chancen sind für uns nach 20 Jahren im westlichen Teil der Republik wohl auch eher gering. Es stimmt mich denoch traurig und oft auch enttäuscht, dass dazu der Mut fehlte oder die Umstände einfach nicht passten. Ich würde mir wünschen, dass die nächste Generation es angeht und den Osten als das sieht und begreift was er ist. Lebenswert, voller Energie und ein Platz für gute Ideen.
Wer in Halle vorbei schaut sollte sich unbedingt auch die schöne Altstadt anschauen und einen Ausflug in die Dölauer Heide unternehmen, Natur vor der Haustüre.
Dokumentation der Platte Halle-Neustadt ist für mich ein gewisser Teil Aufarbeitung der Vergangenheit, auch meiner eigenen. Der Rückbau wird wie in vielen Neubaugebieten wohl die einzige Option sein.
Bald heißt es Abschied nehmen von Peking und China, vielen Freunden und einer Stadt, die es einem nicht immer einfach machte, sie zu mögen. Was werde ich vermissen und was nicht?
* Ich werden die vielen netten Meschen, die uns hier begegnet sind vermissen
* Die sonnigen und nicht-polluteten Tage in der Großstadt
* Das authentische chinesische Essen
* Die vielen herrlichen Fotomotive
* Die unzähligen kleinen Shops und Märkte
* Die langen Schultage der Kinder :-)
* Das Fremde und Abenteuer
* Ich werde die Falschparker, Spucker und lauten Menschen nicht vermissen
* Die Menschenmassen, die einen manchmal fast erdrückten
* Schlechte Luft und Lärm
* Fake-Lebensmittel und gechlortes Leitungswasser
* Überteuerte Preise für Wein und Schokolade
* Extreme Wetterlagen (Smog, Hitze, Dauerfrost, Sturm)
Am 01. Juli betreten wir nach über einem Jahr wieder deutschen Boden und freuen uns auf alles was vor uns liegt. Wir sind offen für Besucher aus nah und fern, teilen gern unsere Erlebnisse mit euch oder grillen einfach zusammen eine gute Bratwurst. Wenn Deutschland dann noch ins Finale kommt, wird der Start in der Heimat einfach nur wunderbar.
Straßenfotografie bleibt mein Favorit.
Die Chinesen bleiben Weltmeister im Essen.
Jede Straßenecke wird für Geschäfte aller Art genutzt.
Eine letzte Runde durch die Stadt – klassisch auf Rädern.
Abschied von meiner Fotogruppe – Hutongtour im Chinalook
Bye bye Ayi Mei – sie findet hoffentlich eine neue Familie.
Unser letztes chinesisches Geburtstagskind – Ella ist 6
Ein Fotofreund hilft beim Transport der letzten Einkäufe.