Paris Passion – Tag 2

Die erste Nacht ist kurz, der Morgen noch nicht in der Stadt, Ruhe herrscht im Hotel, in der Metro und auf den Straßen. Nur Fotoverrückte sind jetzt unterwegs und einige wenige Menschen, die arbeiten müssen oder die Nachtschicht beendet haben. Bis zum Ende der blauen Stunde bleibt ihr Zeit, das frühe Licht und die Beleuchtung ausgewählter Orte einzufangen. Es ist frisch, ein zarter Wind streicht um die Ecken, schickt winzig kleine Wellen über den den Fluss. Die Ausflugsboote liegen am Kai und schlafen, vielleicht träumen sie davon, einmal auf einem richtigten Meer oder Ozean fahren zu dürfen.

Seelen

Du weißt, wir bleiben einsam: Du und ich, Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht, Mit freien Kronen, die der Seewind küßt … So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei. Doch zwischen beiden webt ein feines Licht Und Silberduft, der in den Zweigen spielt, Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin … Paul Wertheimer

Und weil sie etwas Bewegung in diesen Morgen legen möchte, die Starre aufheben und die Lichter tanzen lassen möchte, probiert sie sich ein bisschen aus. Wischt hier und da die Lichter, wie ein Maler auf der Leinwand seinen Pinsel mit ihrer Kamera über die Brücken, Gebäude und das Wasser.

Auf dem Heimweg biegt sie noch in einen versteckten Platz umringt von den typischen Häusern in Paris ab. Hier tummeln sich demnächst wieder Besucher und Einheimische, die Tische und Stühle besetzen werden, die gerade noch gestapelt und aufgereiht wie eine stumme Armee auf den Einsatz warten. Ein Fahrrad liegt fast wie erschöpft von einer durchtanzten Nacht lässig an einem Baum und schläft seinen Rausch aus.

Pünktlich zum Sonnenaufgang gehen die Lichter der Stadt aus. Der neue Tag steht in den Startblöcken. Die Stimmung schaltet wie der Lichtschalter von Ruhe auf Hektik. Sie taucht ab in die Metro, versucht diese Stille noch ein bisschen im Kopf und Körper zu halten. Ein Café au Lait zum Croissant …

Die Prachtstraße Champs-Élysées gleicht gegen Nachmittag einem Ameisenhaufen. Zwischen Autos, Bussen, Fahrrädern, Rollern und vielen Menschen, ist kaum ein Durchkommen. Sie mag das ab und zu sehr gerne, im Gewusel zu verschwinden, unterzutauchen, Teil der Masse zu werden. Niemand nimmt Notiz von ihr und der Kamera. Ihr Augenmerk gilt in Paris auch den Beinen, die jeden Tag jede Person durch diese Stadt tragen. Viele Wege zurücklegen und dabei immer den Zeitgeist wiederspiegeln. Die Mode, ein Statement oder Gleichförmigkeit, den eigenen Stil, die Tages- oder Jahreszeit, meistens das Geschlecht und das Alter preisgeben, ohne die gesamte Person zu sehen.

Hektik herrscht hier wahrscheinlich immer. Sie sieht den Menschen zu, wie sie die Schaufenster der großen Markenläden bewundern oder eine Tüte mit Neuem nach Hause tragen. Eilig von einer Straßenseite auf die andere laufen und dabei ein Foto des berühmten Arc de Triomphe de l’Étoile aufnehmen, der sich Mitten auf dem riesigen Kreisverkehr in den Himmel erhebt. Zu Ehren Napoleon errichtet, heute Gedenkstätte und Aussichtsturm. Später wird sie die vielen Stufen der Wendeltreppen nach oben steigen. Gerade findet eine Parade statt, mit Fahnenträgern, Musikkapelle und Kranzniederlegungen. Die Straße wird für einige Minuten gesperrt. Sie nimmt für eine Weile Platz auf einer Bank, um den gigantischen Torbogen zu bestaunen, hinter dem sich langsam die Sonne verabschiedet.

Es herrscht eine aufgeregte Stimmung, die dennoch friedlich wirkt angesichts der Weitsicht, des warmen Lichts, dass sich zu allen Seiten wie eine warme Decke über Paris legt. Geräusche dringen fast nicht mehr nach oben, sie lässt sich mitnehmen von dieser Atmosphere, genießt den unendlich scheindenden Blick über die Stadt und findet irgendwann eine kleine Lücke zwischen den Menschentrauben, um direkt an der Brüstung zu stehen. Sternförmig laufen die Straßen direkt auf den Torbogen zu, die ehrwürdigen Gebäude sehen mit Beleuchtung noch schöner aus. Natürlich will sie den Eifelturm sehen, der weniger als zwei Kilometer entfernt in den Abendhimmel empor ragt.

Viele verschiedene Nationen sind heute Abend hier auf dem Dach dieses Denkmals vereint. Sie stehen eng beisammen, teilen gemeinsam einen vielleicht einmaligen Augenblick in ihrem Leben. Ihre Hoffnung, das dieser Moment Einigen von ihnen für lange in Erinnerung bleibt und nicht nur ein Foto auf dem Telefon bleibt, nimmt sie gerne mit hinab. Die Stadt der Liebe spielte heute einen Trumpf aus, der die Herzen und die Gedanken friedlicher werden lassen könnte.

Das Glück ist ein Traum in der Nacht Und eine Illusion am Tag Es ist eine Gedanke voll Hoffnung Und ein Wunsch des Herzens, Der nach Erfüllung verlangt. Doch wie oft tritt das Gegenteil der Erfüllung ein. Es ist ein Gesang, der an unser Ohr tönt, Ohne daß unser Herz ihn versteht.

Khalil el Khatib

Paris Passion – Tag 1

Die Frage, warum sie erst knapp vor ihrem 50. Geburtstag Paris mit dem ersten Besuch in ihrem Leben beehrte, kann sie sich selbst nicht beantworten. Vielleicht wollte sie das liebgewonnenen allgegenwährtige Bild von der Stadt der Liebe, der Romantik, der Kunst und des freien Lebens nicht verlieren. Nicht enttäuscht werden, wenn dieses Bild in ihrem Kopf nach zahlreichen Berichten, Filmen und Texten ein ganz anderes, zu realitstisches Bild des Hier und Jetzt werden würde. Dennoch schlug das Herz sofort höher, als die Idee geboren war, der Termin feststand und der TGV im so schön klingendenen Gare de l’Est einfuhr. Und als sie den typisch kleinen Balkon ihres Hotelzimmers im 5. Stock betrat, um den Blick hoch über de Rue Pierre Semard schweifen zu lassen, konnte sie sehen, dass die Realität des Hier und Jetzt ganz wunderbar war.

Paris fühlte sich an wie eine schon immer dagewesene tiefe Liebe. Es war wie ein Wiedersehen mit einer noch Unbekannten. Alles strahlte dort in ihr, diese dichte Atmosphäre aus Trubel, Schönheit, Licht und Wärme füllte sofort ihren Körper und ihre Seele aus. Jeder Blick fühlte sich an, als ob sie die Geschichte dahinter sofort in sich aufsaugen musste. Es errinnerte sie an ihren Lieblingsfilm, im dem dieser Zustand, die Hauptdarstellerin alles Erlebte, Sichtbare und Unsichtbare in hörbaren Gedanken für die Zuschauer beschreibt.

„Ein Mann sitzt mit gelb karriertem Basecap auf einem der fünf knallgelben Plastikstühle in der Metrostation, lässig hat er sein rechtes Bein übergeschlagen, in seiner Hand hält er ein Telefon, auf dem gerade die Nachricht eingeht, dass sein bester Freund vor einer Stunde seine Beziehung beendet hat. Leider kann er den erstaunten Gesichtsausdruck der über ihm auf der Plakatwand abgebildeten jungen Frau, die Webung für ein großes Kaufhaus macht, nicht annähernd so gut nachahmen, obwohl das im Angesicht dieser Nachricht angemessen wäre.“

Ein erster Ausflug in die unbekannte und doch irgenwie vertraute Stadt führt sie zum Place de l’Hôtel de Ville, dort steht das impossante Rathaus, erbaut im Stil der Neorenaissance. Am Nachmittag wird dieser Ort von Einheimischen und Touristen umsäumt. Eilig hasten einige am prachtvollen Gebäude vorbei, an dessen Fassade noch Spuren von den Olympischen Spielen im August zu sehen sind. Eine Schar Kinder ist verzaubert vom Seifenblasenkünstler, der immer wieder große oder kleine bunt schimmernde Illusionen in die Luft entlässt, deren Leben schon nach Sekunden zerplatzt.

„Ein Paar läuft Hand in Hand von links nach rechts, sie trägt einen weißen Rock zum roten Pullover. Es fehlt nur die blaue Mütze für die Farben der französichen Flagge. Ganz in schwarzem Leder gekleidet steht eine Frau mit ihrem Fahrrad geduldig an einer roten Ampel. Eine andere Frau trägt gelbe Schuhe mit schwarzen Streifen und macht ein Foto vom Rathaus. Schnellen Schrittes schlängelt sich eine Frau bekleidet mit einem weißen Tüllrock mit roten Tupfen zwischen den Menschen hindurch. Wahrscheinlich hat sie deshalb die Laufschuhe an. Sie alle begegnen sich für einige Sekunden an diesem Ort , bevor sie wieder in ihren Leben verschwinden. Vermutlich haben sie nicht einmal Notiz voneinander genommen, nur ihre Kamera hat diese Momente festgehalten.“

Yonathan strahlte sie an wie eine außerirdische Sonne, das Gelb seiner Jacke tat fast schon weh in ihren Augen und passte doch so wunderbar zum Plakat auf der Litfaßsäule hinter ihm. Und, er rauchte! Sie musste ihn ansprechen, weil es ein Thema für Paris war, Raucher vor die Kamera zu bringen. Er fand es außergewöhnlich, dass sie sich dafür interessierte. Sie wusste, dass die Kamera ihr schon oft die Kontaktaufnahme erleichtert hatte und dankte ihm mit dem Versprechen die Bilder nach ihrer Rückkehr zuzusenden .

Notre Dame – Unsere Liebe Frau – nur von außen zu Bestaunen. Der Brand wurde gelöscht, die Wunden zu heilen dauert länger. Kräne ragen um die Kathedrale in den Himmel, was ihrer Schönheit dennoch keinen Abbruch tut. Sie nimmt Platz auf der temporären Tribüne gegenüber dem Hauptportal und versinkt in die detailreichen Verzierungen, die Steinmetze und Bildhauer Jahrzehnte lang geformt haben.

„Die Taube hat sich aufgeplustert im Schlaf, vielleicht findet es sie gemütlicher so, nimmt keine Notiz von den vielen Menschen um sie herum. Geliebt, gehasst, verehrt, verachtet … das ist ihr gerade egal. Sie balanciert mit den roten Beinchen auf dem Geländer. Wenn es ganz still wäre, könnten alle ihr leises Schnarchen hören. Können Tauben schnarchen? Dem bärtigen Mann mit Brille und blauer Jacke scheinen die Taube und die Kirche nicht zu interessieren. Er steht direkt im Sichtfeld aller Zuschauer, gefangen im Nachrichten-Bilder-Strom, der unaufhörlich seine Aufmerksamkeit fordert.“

Der Weg führt entlang der Seine, dem ewigen Strom durch die Stadt. Sie sieht Boote voll mit Menschen. Brücken so weit das Auge reicht. Die Uferseiten bebaut mit herrlichen Gebäuden. Es ist ein Gewusel! Von allen Seiten Passanten, Hunde, Fahrräder, Autos, Geräusche, Musik, Düfte, Bilder, Geschichten. Pures Leben.

Sie mag diese Mischung aus Allem. Diese Vielfalt der Kulturen, die sich locker und leicht zu vermischen scheinen. Selbst auf den Fahrrädern sind die Menschen mit Stil unterwegs, jede Straße und Gasse wie ein kleiner Laufsteg. Keiner wird bewertet. Die kleine Combo auf der Insel Saule Pleureur de la Pointe unterhalb der Pont Neuf probt unter freiem Himmel. Die Musik ist weit entfernt noch zu hören, hat Kraft und Energie. Ein Moment, genau richtig, ihn jetzt in ihrem warmen Herz zu verankern.

„Im Oberdeck vom Bus scheint die Sonne etwas länger in die Gesichter der Passagiere. Der junge Mann mit Mütze und Kaputze über dem Kopf scheint schon zu frieren auf dem Weg zu seiner Verabredung. Einsam baumelt ein hellbrauner Schuh an einem Laternenpfahl, lost and never found. Lässig auf dem Geländer sitzend wartet der Junge mit seinem Rad unweit der Brücke. Der nächste Song in seinen Ohren wird Ne te regarde pas sein“

Der Blinde

Sieh, er geht und unterbricht die Stadt, die nicht ist auf seiner dunklen Stelle, wie ein dunkler Sprung durch eine helle Tasse geht. Und wie auf einem Blatt ist auf ihm der Widerschein der Dinge aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein. Nur für sein Fühlen rührt sich, so als finge es die Welt in kleinen Wellen ein eine Stille, einen Widerstand -, und dann scheint er wartend wen zu wählen: hingegeben hebt er seine Hand, festlich fast, wie um sich zu vermählen.

Rainer Maria Rilke

Kosmonautin – Zwischenstationen

Die Realität ist die härteste Droge.

– Unbekannt –

Ein seltsamer Geruch umweht ihre Nase beim Verlassen der Unterkunft, erdig, holzig, wie verbrannte Pflanzen. Fast in jeder Straße zieht sich dieser Duft durch die riesige Stadt. Die Menschen hier scheinen es zu mögen, diese Papierrollen abzubrennen und den Qualm einzuatmen. In den unzähligen Smoke Shops kann sich jeder seine Sorte kaufen, die ihn in einen entspannten Zustand versetzen soll. Merkwürdig findet sie das, Menschen mit ihren Hunden sieht sie dort sitzen und schon am frühen Morgen rauchend. Aber wahrscheinlich hat jeder seine Art von Drogen, die er täglich braucht: Kaffee, Süßes, Alkohol, Bücher, Liebe …

Im Gewusel der Menschen und Fahrzeuge bahnt sie sich den Weg, bleibt immer wieder stehen und versucht die Momente festzuhalten, von denen sie später erzählen kann. Vom Sonnenlicht, das früh am Morgen nur die Spitzen der höhen Gebäude zum Strahlen bringt, von den kleinen privaten Shows in den Subway Stationen, die die Herzen der Vorbeiziehenden oft nur für ein oder zwei Minuten erwärmen.

Von den Lichtern am Abend, die alles wie auf einem Rummelplatz erleuchten. Den kleinen zwei oder vierbeinigen Wesen, die all dieses Spektakel nur von ganz unten bestaunen können. Es ist wie eine Theaterkulisse, die an jeder Straßenkreuzung eine neue Vorstellung bietet. Sie nimmt sich die Zeit und saugt jeden Moment auf. Die Geräusche und Gerüche müsste sie konservieren können. Alle ihre Sinne sind in diesen Momenten weit geöffnet.

Jazz ist das Ergebnis der Energie, die in Amerika gespeichert ist.

George Gershwin

Eine Nacht mit Jazz und Freunden. Sehr zu empfehlen im dieser Stadt voller Möglichkeiten, sich der Kultur und Kunst hinzugeben. Der kommende Tag wirft sich mit allem was er zu bieten hat vor ihre Füße – Licht wie aus einem Disneyfilm, Wind wie Bergluft, Sonne für ein warmes Herz.

Noch einmal nimmt sie die Subway in Richtung Brooklyn, streift durch die Straßen dieses Stadtteils. Trifft auf interessante Menschen, die sie wahrscheinlich nie wiedersehen wird. Flüchtige Begegnungen, für Freundschaften braucht es auch in dieser Stadt mehr Zeit.

Den Raben verzeiht, die Tauben plagt die Kritik.

Juvenal (58 – 140)

Gegen die Kälte des Windes, der unerbitterlich hinter jeder Straßenecke lauert, hilft ein heißer Kaffee und zur Stärkung eine Quiche mit Gemüse. Den Namen des kleinen mit vielen Pflanzen dekorierten Cafés hat sie vergessen. Am Fenster kann sie die vorbeilaufenden Menschen beobachten, die oft allein unterwegs sind. Versunken in Gedanken oder eilend dem Feierabend im gemütlichen Zuhause entgegen schreiten. Einige haben sich Weihnachtsdeko auf ihren Köpfen drapiert und scheinen die nächtse Bar oder Weihnachtsparty anzusteuern. Auf dem Weg zur Metrostation schwillt der Verkehr wieder an. Sie hat noch Blicke für die kleinen Dinge der Straße.

In Downtown glitzern die unzähligen Lichter der baldigen Dunkelheit entgegen, jeden gibt es Abend diese Show, der niemand entkommt. Aus dem Augenwinkel wird sie auf Puppen in extrawaganten Kostümen aufmerksam. Als sie ihre Nase und Kamera an die Scheiben des Gebäudes drückt, wird sie von einer Frau ins Gebäude gewunken. Die Kreationen sind die Abschlußarbeiten der Designschüler des FIT (Museum at the Fashion Institut of Technology). Es gefällt ihr sehr, was dort gezeigt wird, Kretivität und Mut für Außergewöhnliches. Mode für einen anderen Stern. Sie sollte etwas davon für ihre Freunde Zuhause mitnehmen.

Wer weiß schon

Da also wohnen wir

Am Rand der Milchstraße

Galaktische Provinz

Ausgestoßen und

hingewürfelt

Wer weiß schon daß es uns gibt!

Manfred Poisel