Von Göttern & Konsumtempeln

Der Glaube allein ist kein Garant für heilsames Verhalten.

Dalai Lama

Sie schlendert durch die Straßen. Keiner Suche folgend, die Momente einfangen, die vor das Auge treten. Kampong Glam, das Viertel ist seit jeher von Muslimen und Malayan bewohnt. Sie treiben hier Handel und gehen hier beten. Früher wohnten viele in den kleinen Stadthäusern, die heute fast ausschließlich für Läden oder Restaurants genutzt werden. Es ist ein beliebter Stadtteil, nicht nur die Touristen sind fasziniert vom bunten Treiben, dem Mix der Kulturen und den vielen Köstlichkeiten, die es an jeder Ecke zu essen gibt. Bunte Mosaiklampen zaubern eine heimelige Atmosphäre, wenn sie an einem der Geschäfte vorbei läuft, die diese in zahlreichen Varianten zum Kauf anpreisen.

Umringt von großen Boulevards, umzingelt von Verkehr, eingekesselt von den glänzenden Fassaden der immer nähere rückenden Hochhäuser, trotzt das Viertel mit seinen verwinkelten Gassen, bunten Häusern und seiner besonders in den Abendstunden quirligen Atmosphäre dem Großstadtflair

Zwischen Baustellen, die heute ruhig in der Sonne auf ihre Arbeiter warten, ziehen Tauben ihre Kreise. Die Sonne scheint unermüdlich vom fast wolkenlosen Himmel. Sie wird angezogen von einer goldenen Kuppel, die wie ein Palast am Eingang steht und alles überstrahlt. In der Sultan Moschee, die 1824 in diesem ethnischen Viertel erbaut wurde, finden fünftausend Gläubige Platz. Die Türen sind für sie heute verschlossen, nur Betende dürfen momentan ins Gotteshaus. Den Gesang des Imams hat sie trotzdem im Ohr, als er an einem der letzten Freitagabende in den Gassen zu hören war. Wie gerne würde sie einen Blick ins Innere des Prachbaus werfen. Bestimmt wird es irgendwann wieder möglich sein.

Vorbei an den Läden der arabischen und muslimischen Händler streift sie auf den überdachten Fußwegen. Die Auslagen sind voll mit Kleidung, Schmuck, Ölen und Düften, Bakhoor (Duftpasten zum Abbrennen), Schals und Kopftüchern. Dazwischen kleine Cafés oder Restaurants, aus denen ihr der Gewürzduft in die Nase steigt. Besonders schön findet sie den Laden, der sich auf Geschenkbänder spezialisiert hat. In allen Farben und Größen werden sie im Schaufenster gestapelt angeboten. Wer sollte hier nicht fündig werden.

Auch die geschlossenen Geschäfte fallen ihr auf. Die Krise beutelt selbst in dieser reichen Stadt viele Unternehmer, Kunden bleiben aus, hohe Mieten und Kosten vertreiben sie. Wehmütig schaut sie in die leeren Scheiben und steht mitten in einem Stapel aus Briefen, Rechnungen und Werbeprospekten. Manche der Läden werden gerade renoviert und ein neuer Besitzer versucht sein Glück. Handel funktioniert eben nur mit Kunden.

Die blaue Moschee will sie noch finden, hier in der Nähe muss sie gleich auftauchen. Heute sind keine Pilger, Gläubige oder Prediger unterwegs. Ein bisschen traurig schauen ihr die Schaufensterpuppen hinterher. Auf der gegenüberliegenden Seite rückt sie ins Blickfeld, die Masjid Malabar Moschee. Blaue Mosaik-Kacheln zieren die Außenwände, mehrere goldene Kuppeln trohnen auf den Türmen. Fast wir aus ihren Märchenbüchern, 1001 Nacht, die Bauherren haben vielleicht auch diese Bücher gelesen.

Die Hitze des Tages erfordert eine Abkühlung. An der nächsten Ecke findet sie ein indisches Straßenrestaurant, die es hier zu dutzenden in der Stadt gibt. Immer wird dort Kopi (Kaffee) angeboten, den sie sicvh gerne eiskalt bestellt. Mit gezuckerter Kondensmilch und stark aufgebrüht. Dazu ein Prata, eine Art Pfannkuchen. Genau die richtige Mischung für diesen Moment. Zu den menschlichen Besuchern dieser offenen Küchen gesellen sich überall die Javan Mynah Vögel. Die kleinen schwarzen Frechdachse mit den gelben Füßen laufen meistens, als das sie fliegen. Sie stehlen gerne das Essen, direkt vom Teller, den man daher nie unbeobachtet lassen sollte. Die Nachbarschaft lockt sie weiter. Überall sind nun die Geschäfte geöffnet, kleine Läden mit Haushaltswaren, Bekleidung, Obst & Gemüse oder Weihnachtsdekoration. Neben einem Geschäft für Bilderrahmungen sitzen Leute auf Stühlen vor einem kleineren Laden. Hier können sich die Kunden Passbilder machen lassen und der Andrang ist groß. Ein älterer Herr steht draußen und lockt mit winkenden Gesten immer neue Kunden an.

Einen ganz besonderen Tempel will sie noch aufsuchen, der sich zwischen Hochhäusern, direkt neben dem Markt und Hawkercenter mitten auf einem Parkplatz unter einem alten Baum befinden soll. Der North Bridge Road Tua Pek Kong Temple liegt wie der Name schon sagt an der North Bridge Road. Angeblich sollen Freunde am Strand mehrere religiöse Statuen gefunden und ihnen einen Tempel gebaut haben. Daher werden in diesem kleinen Gebäude Gottheiten aus dem Buddhismus, Thaoismus und Hinduismus verehrt.

Sie staunt nicht schlecht über diese kleine heilige Stätte, die immer wieder von Männern und Frauen aufgesucht wird. Große Räucherspiralen hängen von der Decke herunter. Aus einem Ofen steigen ebefalls Rauchschwaden empor. Die Besucher zünden zarte Räucherstäbchen an, um sie nach einem Gebet in die bereits gefüllte Schale in den Sand zu stecken. Manche Kirche wäre froh, wenn sie so viele Besucher hätte. Hier ist es ganz selbstverständlich, zum Tempel zu kommen und zu beten. Alltag in Asien.

In einem kleinen gelb gefließten Schrein entdeckt sie einen schwarzen Stein, der in einen goldenen Mantel gehüllt ist. Opfergaben liegen vor dem Stein und Blumenschmuck. Sie fragt einen der Besucher was es mit diesem aufsich hat. Es wäre wohl ein besonderer Stein aus Malaysia. Wenn nur alle Religionen so friedlich unter einem Dach „leben“ könnten. Die Musik klingt ihr noch eine Weile im Ohr, als sie in die kleine Markthalle direkt gegenüber geht. Denn meistens gibt es in Tempelnähe auch diese speziellen Läden, die Utensilien für den Tempelbesuch verkaufen. Sie wird fündig und freut sich dem netten Herrn zwei Packungen der sehr speziellen Papiergaben abkaufen zu können. Den Verstorbenen soll es auch im Jenseits gut gehen und so wird ihnen meistens im Geistermonat alles Mögliche geopfert, unter anderem auch Alltagsgegenstände aus Pappe. Diese werden dann verbrannt, um so zum Verstorbenen ins Jenseits zu gelangen. Es gibt z.B. Hemden, Uhren, Parfüm, Radios, Seife, Schuhe und vieles mehr, alles aus Pappe. Aber bitte Markenware, Gucci-Schuhe für 1,80€.

Die Hitze drückt unermüdlich in die kleinen Gassen. Der Schatten wird immer kleiner, je mehr sie sich dem Zenit nähert. Unter den Arkaden der Stadthäuser ist es ein wenig kühler. Vorbei an kleinen Kunstwerken, die in den Hinterhofgassen an die Wände gemalt, gesprüht oder geklebt sind. Dort sitzen oft die Köche der Restaurants und machen bei einer Zigarette Pause. Die Hitze in den kleinen Küchen mag sie sich gar nicht erst vorstellen. Trotzdem lächeln sie zurück, sie sind froh eine Arbeit zu haben in diesen Zeiten. Die Teppich- und Stoffhändler stehen sich die Füße in den Bauch, manche sitzen gelangweilt vor den Handy und schauen Videos. Trostlos sind die Straßen an diesem Mittag, nur vereinzelt betritt ein Kunde eines der Geschäfte. Wie lange sie das durchhalten ist fraglich. Sie hat Mitleid, schließlich steht hinter jedem dieser Menschen oft eine ganze Familie, die das Geld benötigt, um zu überleben. Trotzdem braucht sie heute keinen Teppich, vielleicht einen um wie in 1001 Nacht eine Runde zu fliegen? Wie sonst die Tauben, die sich jetzt auf den Fenstersimsen dicht an die Hauswände drücken, um der Sonne zu entgehen.

Die goldene Kuppel der Moschee weist ihr den Heimweg. Es werden wieder bessere Zeiten kommen. Dann gibt es Feste und Freudentänze. Bis dahin hilft vielen wohl nur das Gebet, zu welchem Gott oder Stein auch immer.

Ich fühl in mir ein Leben,

das kein Gott geschaffen und kein Sterblicher gezeugt.

Ich glaube, daß wir durch uns selber sind,

und nur aus freier Lust so innig mit dem All verbunden.

Friedrich Hölderlin

Flashback To India

Jeder Europäer, der nach Indien kommt,

lernt Geduld, wenn er keine hat,

und verliert sie, wenn er sie hat.

Aus Indien

Nicht zum ersten Mal bin ich an diesem Nachmittag an der Station „Little India“ ausgestiegen und fühlte mich fast wieder wie in Bangalore, der Stadt in Südindien, in das unsere Familie 2011 umgezogen war. Sofort empfängt mich das bunte Treiben hier, die farbenfrohe Kleidung der Menschen erinnert mich an die quirligen Straßen in der Millionenstadt, die wie ein großes Abenteuer damals vor uns lag. „Kinoprogramm“ durch die Fensterscheibe auf jeder Autofahrt im dichten und lauten Verkehr, ich konnte den Blick anfangs gar nicht abwenden. Lautes Hupen ist hier in Singapur nicht zu hören und auch die Rikshas und Kühe fehlen im Straßenbild. Trotzdem liebe ich dieses Viertel, das mich so sehr an die Zeit damals erinnert.

Heute wartete Charlotte unser Guide für eine Deepavali-Tour am Eingang auf uns Teilnehmer. Sie hatte frisch duftende Jasminarmbänder für alle dabei und natürlich auch Bindis, die Punkte für das dritte Auge. Roter Punkt bedeutet „verheiratet“, schwarzer Punkt „unverheiratet“, alle anderen Farben sind nur für die modischen Geschmäcker eingeführt worden. Im Tempel bekommt man die klassische Variante, rotes Pulver steht gleich in riesigen Schüsseln am Eingang bereit. Als alle Teilnehmer versorgt waren, erklärte sie uns die bevorstehenden Festlichkeiten rund um das indische Lichterfest, das ungefähr unserem Weihnachtsfest entspricht. Neun Tage wird gefeiert, die Familie kommt zusammen, Tempel werden besucht, Feuerwerk (vor allem in Indien) wird abgebrannt, dass es so richtig kracht, es gibt sehr viel zu essen und natürlich auch Geschenke. Alles wird mit unzähligen bunten Lichtern geschmückt. Sie erzählte uns einige spannende geschichtliche Fakten zum Viertel und zeigte historische Fotos. Auch die hier aufgestellten Guinessbuchrekorde durften nicht fehlen. Ich verrate nichts, die nachfolgenden Tourteilnehmer sollen selbst lachen dürfen.

Betelblätter

Es zog uns in durch die Seitenstraße vorbei an den kleinen Ständen, die auch heute den schönen Blumenschmuck im Angebot haben. Gerne tragen indische Frauen diesen im Haar, aber auch für die Dekoration der Gottheiten werden diese Girlanden benutzt. Es duftet nach Obst, Räucherstäbchen und Jasmin – ein Genuss für alle Sinne.

Weiter ging es entlang der Buffalo Road, deren Name von den Kühen stammt, die es hier früher reichlich im indischen Viertel gab. Der Milchmann kam direkt mit der Kuh vor die Haustür zum Melken, frischer geht es nicht. Kühe sind bekanntlich heilig für die Hinduisten und werden auch heute noch verehrt. In Bangalore taten mir die manchmal sehr abgemagerten Kreaturen leid, wenn sie im Müll der Straße nach Essbarem suchten. Mitunter sterben die Tiere an den Plastiktüten, die zusammen mit dem Abfall verspeist werden. Viele Besitzer kümmern sich aber weiterhin sehr gut um ihrer Tiere und lassen sie in den Dörfern auf frischen Wiesen grasen, schmücken sie prächtig für Feste und schätzen ihren Wert für die Familie.

Heute nur noch ausgestopfte Tier im Straßenbild.

Wir machten Halt am Shree Lakshminarayan Tempel, der eher ein untypisches Aussehen für einen indischen Tempel hat. Die roten Dreiecke auf weißem Grund wirken eher wie eine HDB Fassade, auch die sonst reichhaltige Verzierung mit Gottheiten und Tieren fehlt. Den Tempel gibt es seit 1969, er wurde hauptsächlich für die aus Nordindien stammenden Hinduisten in Singapur erbaut. Der Eintritt wurde uns trotz Covid-Restriktionen erlaubt. Ich erinnere mich sofort an unseren ersten Tempelbesuch auf dem Weg in die Nandihills nördlich von Bangalore. Der Priester dort feierte eine Puja (Zeremonie) mit unserer Familie. Gegen einen kleinen Geldbetrag sprach der Priester Gebete, dabei wurde eine Öllampe über den Köpfen oder vor dem Gesicht gekreist. Auch heiliges Wasser bekamen wir ins Gesicht gespritzt und am Ende den obligatorisch roten Punkt zwischen die Augen auf der Stirn platziert. Auch hier in Singapur sehe ich sehr viele kleine Schreine in den Hawkercentern, an denen die Menschen beten. Im Tekkamarkt hat wohl jeder Ladenbesitzer seinen kleinen eigenen Schrein, an dem er täglich eine Puja abhält, um seiner Gottheit zu huldigen, für bessere Geschäfte, Gesundheit in der Familie und alle anderen Wünsche.

Gleich um die Ecke des Tempels befindet sich eine weitere historische Sehenswürdigkeit des Viertels, das Tan Teng Niah. Die Villa, die um 1900 von einem aus Indien stammenden Geschäftsmann erbaut wurde vereint chinesische und europäische Gestaltungsmerkmale. So finden sich typische chinesische Dachziegel, schwingende Türen und eine sehr bunte Fassade, die erst nach der Rekonstruktion angebracht wurde. Ein sehr beliebtes Fotomotiv für Touristen oder momentan für die hier lebenden Ausländern.

Tan Teng Niah

Zeit für eine kleine Pause. Indien ist bekannt für seine vegetarische Küche und den Chai. Charlotte führte uns zu einem kleinen Restaurant, welches beides im Abgebot hatte. Wir testeten mit Milch aufgekochten Ingwertee, Pratas (eine Art Pfannkuchen) und weitere indische Snacks. In Little India gibt es wirklich sehr autentische Küche, die für jeden Geschmack etwas bietet. Wer schon einmal einen 24 Stunden gekochten schwarzen Dhal (Linsengericht) mit frisch gebackenem Naanbrot gekostet hat, wird immer wiederkommen. Meine Kinder, damals noch jünger, ernährten sich während unserer Zeit in Indien mit Vorliebe von Gemüsereis, Naanbrot, Pratas und süßen Chapatifladen. Auch für das Nachkochen von indischen Gerichten ist Little India der beste Anlaufpunkt, denn hier finden sich alle Zutaten und Gewürze für die indische Küche.

Die Offenheit der indischen Bevölkerung ist und war mir immer eine Freude. Ein Lächeln auf dem Gesicht, Interesse an der Herkunft und ein freundliches Gespräch – in Bangalore Alltag. Auch hier im indischen Viertel ist es ein Leichtes mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Als Fotografin erlebt man selten ein „Nein“ bei der Bitte nach einem Foto. Und das Strahlen im Gesicht der Menschen, denen ich immer wieder auch ausgedruckte Fotos von sich geschenkt habe, ein unbezahlbarer Moment.

Vorbei an einem der haushohen Wandmalereien zog es uns in die Serangoon Road, Hauptverkehrsader durch das immer belebter werdende Viertel. Gegen frühen Abend strömen immer mehr Menschen in die Läden, Restaurants und Tempel. Wir hatten noch eine Sari-Vorführung vor uns.

Meinen Sari hatte ich mir damals für einen Wohltätigkeitsball schneidern lassen. Allein die Stoff- und Farbauswahl stellte schon eine ziemliche Herausforderung dar. Bei dem vielfältigen Angebot nimmt man am besten eine indische Bekannte oder wenigstens eine Freundin zur Beratung mit. Ein Sari besteht zu Beginn aus einer einzigen langen Stoffbahn, die schon so gewebt und bestickt ist, dass daraus ein seperates Oberteil maßgeschneidert werden kann. Der Rest wird in einer komplizierten Technik um den Körper gewicktelt, dabei aufwendig gefaltet. Das bekommt man allein so gut wie gar nicht hin. Mir hat damals unsere Angestellte geholfen und alles mit Sicherheitsnadeln festgesteckt, damit das fertige Outfit den Abend übersteht. Wenn er einmal sitzt fühlt es sich wirklich sehr elegant an und man schwebt quasi wie eine Königin durch den Ballsaal. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Danach habe ich mir den Sari so umnähen lassen, dass er sich quasi wie ein Rock mit langem Tuch anziehen lässt und nur die „Schärpe“ richtig gefaltet und festgesteckt werden muss.

Moderne Stoffe mit Animalprint sind der Renner momentan.
Aufwändige Stickerein auf Seide oder Leinen
Unser Model Miriam sollte sich einen Sari zulegen.

Je mehr sich die Sonne neigte und langsam der Abend anbrach, umso hektischer wurde es in den Straßen und Gassen. Überall strömten die Menschen, um sich mit den für Diwali (nordindische Schreibweise) notwendigen Dingen einzudecken. Die Geschäfte haben vor den Läden noch weitere Zelte aufgestellt, um Tischfeuerwerk, kleine Knaller, Lichterketten, Kerzen, Rangolifarben, Blumenschmuck und Süßigkeiten anzubieten. Jeder trägt einen oder mehrere Beutel nach Hause, um zu schmücken und den 14.11. vorzubereiten. Deepavali (südindische Schreibweise) feiert man immer am Neumondstag 20 Tage nach Dashahara, einem weiteren hinduistischen Fest. Ja, die indische Bevölkerung hat sehr viele Feiertage, ähnlich der vielen Gottheiten, die verehrt werden. In Indien haben wir einfach immer alles mitgefeiert, sei es das Ganeshafestival, das Shivafestival, Holi (Frühlingsfest) oder die Fahrzeugzeremonie. Jedesmal waren wir mit Begeisterung dabei und tauchten ein wenig tiefer in die kulturellen Höhepunkte des Landes ein.

Aus dem Sri Veeramakaliamman Tempel an der Ecke Belilios Road / Serangoon Road drangen helle Glockenschläge und Gesang von einer Musikanlage. Auch wenn keine Zeremonie stattfindet lohnt sich ein Blick ins Innere, wenn man hier vorbei kommt. Schließlich ist er einer der ältesten Hindu-Tempel in Singapur und jetzt auf dem bergähnlichen Dach ganz typisch verziert. Mit kurzem Halt am Chapatistand und einer Erklärung zur Alkohlverbotszone schlendern wir durch die im Abendlicht leuchtenden Straßen, die gesäumt sind von den altehrwürdigen Townhouses dem Endpunkt unserer Tour entgegen. Wer wollte konnte sich noch eindecken mit Lichtwerk für die eigene Wohnung oder in einem der Restaurants den Abend gemütlich ausklingen lassen. Die aufwendig installierte Lichtdekoartion entlang der Serangoon Road sollte man sich auf keinen Fall bei Dunkelheit entgehen lassen. Eine wahrer Augengenuss.

A07 Ödland

Insel im Nirgendwo – Eine Annäherung an Öland

Unerbittliches Licht dringt ein;
Und vor mir dehnt es sich,
Öde, voll Entsetzen der Einsamkeit;
Dort in der Ferne ahn‘ ich den Abgrund,
Darin das Nichts.

(1817 – 1888), Hans Theodor Woldsen Storm

Traum und Wirklichkeit, man hört es oft, es können Welten dazwischen liegen. Öland muss man gesehen haben, wurde gesprochen, von einigen, die schon dort waren. Wo genau habe ich nicht erfragt. Selbst ein Bild machen, lautet meine Devise. Auf 137 km Länge und 16 km Breite (maximal) wird sich das Geheimnis dieser „Trauminsel“ finden lassen. Ausgeträumt. Noch nie hat sich mir ein Ort derart widerstrebend erkunden lassen wie diese Insel auf der südöstlichen Flanke Schwedens. Leere ist vorhanden dort, in den kleinen Orten, auf den Straßen, an den Stränden. Weitblick auch. Auf die Ostsee, auf vertrocknete Steinwüsten, über Felder. Das ist alles, mehr habe ich nicht entdeckt. Reicht das?

Vielleicht bin ich zu wählerisch, zu verwöhnt, zu engstirnig? Das Gefühl unbedingt hier zu bleiben, vielleicht doch den Norden zu erkunden, dem Ort eine Chance zu geben, stellte sich nach mehr als einem Tag noch immer nicht ein. Da half auch der Morgenspaziergang am Strand nichts mehr. Das Licht war weich, das Wasser still, ich fühlte mich wie ausgesetzt auf einem anderen Planeten. Erzwingen muss ich nichts. Also Weiterreise. Vielleicht bei einem zweiten Anlauf, irgendwann.

A06 – Schrott oder Kunst

Autofriedhof Ryd

Åke Danielsson wurde 1914 geboren und scheint ein Autofan gewesen zu sein, zumindest was das Verschrotten und Verwerten von vierrädrigen Vehikeln angeht. Zunächst interessierte ihn allerdings der Torf in dem Moor-Wald nahe der Gemeinde Ryd. Er baute sich eine Hütte und verkaufte den Torf. Irgendwann muss er eines der Autos am Straßenrand entdeckt haben, absichtlich vom Besitzer in der einsamen Gegend abgestellt. Schrott in den Wäldern zu entsorgen war ja schon immer eine beliebte Sache gewisser Menschen. Er schaffte das Auto auf sein Grundstück und verdiente sich mit Ersatzteilen ein Zubrot.

Schnell sprach es sich herum, dass der Einsiedler die alten Wagen kostenfrei entsorgte und so fand Åke immer weitere, abgestellte Fahrzeuge an den umliegenden Straßen, die sein Grundstück mit den Jahren füllten. Bis in die späten 80er Jahre erlaubte man ihm sein Geschäft dort, denn gab es Umweltauflagen, es durften keine weiteren Autos dort gelagert werden und 1992 zog er schließlich in ein Altersheim.

Gegen die Räumung und Sanierung des Geländes regte sich angesichts der Masse an historischen Fahrzeugen Widerstand. Die Regierung stellte schließlich den Platz unter Schutz und so kann heute jeder Interessierte einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Leider ziehen solche verlassenen Orte nicht nur Liebhaber alter Autos, Fotografen oder Historiker an, Vandalismus machte sich schnell breit. Fast keines der Fahrzeuge hat noch Interieur oder Sitze, Lampen, Scheiben, Blinker … alles Abbaubare wurde entwendet, Graffiti gesprüht oder auf den Dächern herum getrampelt. Ein bisschen tun einem die Autos dort in gewisser Weise leid. Ein langsamer Tod, allerdings an einem friedlichen Ort.

Åke starb im Jahr 2000, wahrscheinlich war er nicht mehr auf seinem Grundstück und hat diesen Niedergang vielleicht nur vom Hörensagen erfahren. Sein mit eigenen Händen erbautes Haus wird wohl irgendwann der Sturm oder Schnee umwerfen. Die Fahrzeuge noch ein paar Jahrzehnte vor sich hin verrotten. Vielleicht werden sie auch noch weggeräumt und die Natur gewinnt – wie immer.

Wer Autos sät, wird Schrott ernten.

© Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger

https://goo.gl/maps/KUs5MRVJhE7zErrg8

Wer selbst diesen unwirklichen Ort besuchen möchte, er ist nicht schwer zu finden in Südschweden. Die Umgebung des Åsnen Nationalpark bietet eine ansonsten sehr intakte und zauberhafte Natur.