A07 Ödland

Insel im Nirgendwo – Eine Annäherung an Öland

Unerbittliches Licht dringt ein;
Und vor mir dehnt es sich,
Öde, voll Entsetzen der Einsamkeit;
Dort in der Ferne ahn‘ ich den Abgrund,
Darin das Nichts.

(1817 – 1888), Hans Theodor Woldsen Storm

Traum und Wirklichkeit, man hört es oft, es können Welten dazwischen liegen. Öland muss man gesehen haben, wurde gesprochen, von einigen, die schon dort waren. Wo genau habe ich nicht erfragt. Selbst ein Bild machen, lautet meine Devise. Auf 137 km Länge und 16 km Breite (maximal) wird sich das Geheimnis dieser „Trauminsel“ finden lassen. Ausgeträumt. Noch nie hat sich mir ein Ort derart widerstrebend erkunden lassen wie diese Insel auf der südöstlichen Flanke Schwedens. Leere ist vorhanden dort, in den kleinen Orten, auf den Straßen, an den Stränden. Weitblick auch. Auf die Ostsee, auf vertrocknete Steinwüsten, über Felder. Das ist alles, mehr habe ich nicht entdeckt. Reicht das?

Vielleicht bin ich zu wählerisch, zu verwöhnt, zu engstirnig? Das Gefühl unbedingt hier zu bleiben, vielleicht doch den Norden zu erkunden, dem Ort eine Chance zu geben, stellte sich nach mehr als einem Tag noch immer nicht ein. Da half auch der Morgenspaziergang am Strand nichts mehr. Das Licht war weich, das Wasser still, ich fühlte mich wie ausgesetzt auf einem anderen Planeten. Erzwingen muss ich nichts. Also Weiterreise. Vielleicht bei einem zweiten Anlauf, irgendwann.

A06 – Schrott oder Kunst

Autofriedhof Ryd

Åke Danielsson wurde 1914 geboren und scheint ein Autofan gewesen zu sein, zumindest was das Verschrotten und Verwerten von vierrädrigen Vehikeln angeht. Zunächst interessierte ihn allerdings der Torf in dem Moor-Wald nahe der Gemeinde Ryd. Er baute sich eine Hütte und verkaufte den Torf. Irgendwann muss er eines der Autos am Straßenrand entdeckt haben, absichtlich vom Besitzer in der einsamen Gegend abgestellt. Schrott in den Wäldern zu entsorgen war ja schon immer eine beliebte Sache gewisser Menschen. Er schaffte das Auto auf sein Grundstück und verdiente sich mit Ersatzteilen ein Zubrot.

Schnell sprach es sich herum, dass der Einsiedler die alten Wagen kostenfrei entsorgte und so fand Åke immer weitere, abgestellte Fahrzeuge an den umliegenden Straßen, die sein Grundstück mit den Jahren füllten. Bis in die späten 80er Jahre erlaubte man ihm sein Geschäft dort, denn gab es Umweltauflagen, es durften keine weiteren Autos dort gelagert werden und 1992 zog er schließlich in ein Altersheim.

Gegen die Räumung und Sanierung des Geländes regte sich angesichts der Masse an historischen Fahrzeugen Widerstand. Die Regierung stellte schließlich den Platz unter Schutz und so kann heute jeder Interessierte einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Leider ziehen solche verlassenen Orte nicht nur Liebhaber alter Autos, Fotografen oder Historiker an, Vandalismus machte sich schnell breit. Fast keines der Fahrzeuge hat noch Interieur oder Sitze, Lampen, Scheiben, Blinker … alles Abbaubare wurde entwendet, Graffiti gesprüht oder auf den Dächern herum getrampelt. Ein bisschen tun einem die Autos dort in gewisser Weise leid. Ein langsamer Tod, allerdings an einem friedlichen Ort.

Åke starb im Jahr 2000, wahrscheinlich war er nicht mehr auf seinem Grundstück und hat diesen Niedergang vielleicht nur vom Hörensagen erfahren. Sein mit eigenen Händen erbautes Haus wird wohl irgendwann der Sturm oder Schnee umwerfen. Die Fahrzeuge noch ein paar Jahrzehnte vor sich hin verrotten. Vielleicht werden sie auch noch weggeräumt und die Natur gewinnt – wie immer.

Wer Autos sät, wird Schrott ernten.

© Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger

https://goo.gl/maps/KUs5MRVJhE7zErrg8

Wer selbst diesen unwirklichen Ort besuchen möchte, er ist nicht schwer zu finden in Südschweden. Die Umgebung des Åsnen Nationalpark bietet eine ansonsten sehr intakte und zauberhafte Natur.

A05 – Ruhepole

Växjö & Åsnen Nationalpark

Abendfriede

Schwebe, Mond, im tiefen Blau
Ueber Bergeshöhn,
Sprudle Wasser, blinke Thau . . .
Nacht, wie bist du schön!

Spiegle, See, den reinen Strahl;
Friede athmend lind
Durch das wiesenhelle Thal
Walle, weicher Wind!

Wie durch einen Zauberschlag
Bin ich umgestimmt
Von Gedanken, die der Tag
Bringt und wieder nimmt.

Daß es auch ein Sterben gibt,
Fühl‘ ich ohne Schmerz,
Was ich liebe, was micht liebt,
Geht mir still durchs Herz.

Ludwig Eichrodt
(1827 – 1892)

Es ist so eine Sache mit der Ruhe, nach der laut Medienberichten jeder gestresste Mensch der Moderne zu suchen scheint. Ich nehme mich da nicht aus, dass es mir ab und zu ebenfalls zu laut ist und ich Stille eine Weile sehr gut aushalten kann. Wo findet man die absolute Stille heute noch? Tief im Wald, mitten auf dem Ozean, in der Wüste, in den Bergen – abseits jeglicher Zivilisation. Kirchen fallen mir noch ein, leere Kirchen, kleine Dorfkirchen, die tagsüber oft leer sind und einen wahren Ruhepool bilden. Der Dom zu Växjö ist schon größer und wohl eher selten leer, dafür sehr schön mit seiner modernen Innengestaltung. Der Glaskünstler Bertil Vallien schuf den außergewöhnlichen Altar und zieht damit Kunstinteressierte aus nah und fern an. Trotz des Trubels und des hellen Lichts im Innenraum saß dort ein schlafender Mann auf einer der Bänke, wie Jesus schien er am Kreuz zu hängen und ihn störte es nicht, das immer wieder Menschen an ihm vorbeizogen. Wir entdeckten zwei Koffer zu seinen Füßen, es schien als ist er fündig geworden nach einem friedlichen und ruhigen Platz für ein Schläfchen, bevor er sich wieder dem harten Leben auf der Straße stellen muss.

Rot trifft Grün
Altar aus Glas
Schlafplatz
Växjö

Vielleicht würde der Naturcampingplatz im Åsnen Nationalpark auch ein Ruhepool für uns sein. Er liegt mitten im Wald an einer kleinen Badestelle des durch tausende Inseln durchtrennten Sees. Es gibt weder Strom noch Beleuchtung, kaltes Wasser, zwei Toiletten und eine Spülstelle. Etwa 500 Meter entfernt kann auch geduscht werden (warm). Die große Lichtung bietet Platz für genügend Naturliebhaber, Wassersportler, Hunde und Sterngucker. Magisch zieht einen der Blick über den See in seinen Bann, der Puls wird schlagartig langsamer. Man lässt sich einfangen von dieser bezaubernden Stimmung irgendwo in Südschweden. Es braucht nicht viel für puren Genuss, das einzige was fehlte war die Milch, denn wer nicht Mjölk kauft der erwischt schnell Kefir, der hier in Milchpackungen im Regal steht. Die netten Nachbarn helfen aus und bereiten schon das Lagerfeuer gegen die Mücken vor. Die schwirren im Abendlich aber lieber über dem Wasser als sich an uns Menschen zu laben. Wolkenlos ist der Himmel, perfekt für eine Sternschnuppenjagd in der nachtdunklen Ruhe dieser Oase.

Komm und schwimm mit mir!
Oder lass uns im Boot davon treiben.
Lass die Seele und den Körper baumeln.
Stimm eine leise Melodie für mich an.
Fang das Licht und halte es im Herzen.
Gedanken ziehen wie der Morgennebel davon.

Die Ruhe wurde jäh durchkreuzt von vier Zwergen, die über den Platz tobten und den laissez fairen Erziehungsstil ihrer Eltern voll auskosteten. Mit den Kanus ging es über den See und die Umgebung bietet zum Glück genügend Platz für alle. Den Sternenhimmel dort werden wir nicht so schnell vergessen, was für ein unglaubliches Spektakel dort oben. Welch ein Jammer, dass so viele dieses Naturschauspiel nie sehen können.

A04 – Nah am Wasser gebaut

Falkenberg & Varberg

Kirche zu Falkenberg

Wir hatten unser zweites Quartier in der Nähe von Halmstad, nahe der Bucht mit dem bezaubernden Strand Tylösand bezogen. Die Campingsaison in Schweden ist Mitte August quasi vorbei. Meistens tummeln sich noch ein paar Dauercamper auf den Plätzen herum, die ihre kleinen Refugien langsam winterdicht machen, oder ein paar Wochenendausflügler, die den nordischen Spätsommer genießen oder Bayern und Baden-Württemberger, die noch Ferien haben oder Familien mit nichtschulpflichtigen Kindern (dazu später mehr). Tylösand versprach die Ostsee mit einem langen Strand, leider zeigte sich das Wetter an diesem Tag nicht so strandfreundlich und wir entschieden uns, die Gegend weiter nördlich zu erkunden. Halmstad, welches wir auf der Durchfahrt am Tag davor schon in Ausschnitten sahen, erschien uns zu groß für einen gemütlichen Tag. Falkenberg liegt nicht weit entfernt und versprach eine nette kleine Altstadt, auch eine Festung aus dem 14. Jh und eine alte Brücke aus dem 17. Jh, die über den Fluss Ätran führt.

Der Inhaber war so alt wir die Fotos im Schaufenster.
Spiegelcafé

Überschaubar ist Falkenberg, das im Sommer bestimmt voller Touristen ist, die wie wir in den wenigen kleinen Gassen bunt bemalte Holzhäuser bestaunen, verstohlen in die Fenster blicken und erschrecken, wenn man ein Gesicht dahinter entdeckt. Das gefühlt einzig geöffnete Café hatte passend zum Wetter heiße Schokolade und Waffeln im Angebot und ein Wand voller Spiegel. Die Schweden sind sehr nett, aber irgendwie sehr zurückhaltend. Ein Lächeln genügt ihnen als Kommunikation, ins Gespräch kommt man eher selten, obwohl viele doch ein paar Worte Deutsch können und Englisch sowieso.

Kreuz und Quer
Beobachter
St. Laurentius wird renoviert.
Stoff und Stein
Leider geschlossen – Die Töpferei

Wir staunten immer wieder darüber, dass die Geschäfte hier tatsächlich noch eine Mittagspause machen. Der schöne Second Hand Laden hatte nur noch Samstags geöffnet. Dafür gibt es an jeder Ecke einen Friseur.

Leider geschlossen – Flohmarktladen
Leider abgerissen – Brücke über den Ätran

Die historische Brücke haben wir irgendwie verpasst, dafür die Reste einer alten gefunden. Das Wetter wollte noch immer keine Strandlaune bei uns wecken, so beschlossen wir weiter Richtung Norden zu fahren, um uns Varberg anzuschauen. Auch hier gibt es eine Festung und ein Kaltbadehaus im orientalischen Baustil. Das klang interessant und der Reise wert.

Glaswerk aus Varberg
Im Hafen

Das Gute an der Nebensaison ist, dass man immer einen Parkplatz findet und die kleinen Städte meistens für sich alleine hat. Das passiert einem in den Seebädern an der ostdeutschen Ostsee noch nicht einmal im Winter. Varberg liegt auch direkt am Meer und hat einen langen Sandstrand, der in der Hochsaison bestimmt gut besucht ist. Heute war es ruhig hier nur ein paar wenige Spaziergänger unterwegs, eine Schulklasse stürmte den Eisladen, eine Möwen klaute uns zwei Picknickbrote. Es sei ihr verziehen, sie hatte drei Junge und die wohl Hunger.

Orient an der Ostsee
Picknick am Strand, das Café war leider geschlossen.

Das mit seinen niedrigen Zwiebeltürmen und der gesamten Ornamentik wie ein maurischer Palast wirkende Varbergs Kallbadhus steht nur etwa 20 Meter vom Ufer entfernt auf massiven Holzpfählen im Kattegat.

Der Bade- und Saunabereich des Varbergs Kallbadhus ist strikt nach Geschlechtern getrennt, da nicht nur textilfrei sauniert, sondern grundsätzlich auch nackt gebadet wird. In der Mitte besitzt die historische Badeanstalt ein geschlossenes Holzgebäude, in dem sich die Eingangshalle, ein gemütliches Café mit Blick auf das Kattegat sowie in jedem Seitenflügel ein Saunabereich befindet.

Links und rechts des Mittelbaus befinden sich die unter freiem Himmel liegenden und durch umlaufende Holzwände vor neugierigen Blicken geschützten Schwimmbereiche. Dabei bestehen diese auf jeder Seite des Badehauses aus je einem etwa 11×11 Meter großen Bodenausschnitt mit einer Treppe, über die man hinunter in die Fluten des Meeres steigt.

Auf den beiden Badedecks befinden sich entlang der Innenseiten der Außenwände mehrere durch seitliche Trennwände abgeteilte Kabinen mit Liegestühlen, auf denen man nach dem erfrischenden Bad im Meer oder nach dem Saunagang an der frischen Luft ausruhen kann. Das Badehaus ist ganzjährig geöffnet und bietet eine geschützte Gelegenheit, um auch während des Winters ein Bad in den Fluten des Meeres zu nehmen.

Das heutige Kaltbadehaus wurde 1906 gebaut und ist das dritte Gebäude seiner Art an dieser Stelle. Das erste Badehaus wurde bereits 1866 gebaut und 1884 durch einen schweren Sturm zerstört. Sein Nachfolger war 1886 fertiggestellt und erlitt während des schweren Sturms zu Weihnachten 1902 das selbe Schicksal. Quelle: https://www.guidebook-sweden.com/de/reisefuehrer/reiseziel/varbergs-kallbadhus-kaltbadehaus-varberg

Auch hier war zwar Licht, aber kein Restaurant mehr geöffnet.

Durchgelüftet vom frischen Wind der Ostsee traten wir den Rückweg an. Zum Abend zeigte sich die Sonne und so machten wir uns zur Bucht von Tylösand auf, die nur einen Katzensprung entfernt lag. Sonnenuntergänge am Meer haben ja immer etwas sehr kitschiges an sich und trotzdem kann ich mich ihnen schwer entziehen. Das Licht umfängt einen warm und weich, die Wellen scheinen es direkt an Land spülen zu wollen. Die Dünen leuchten und es herrscht eine andächtige Ruhe unter den Schaulustigen.

Haus am Meer
Kameldüne

Das große Meer treibt mich an,
es treibt mich um,
ich treibe wie die Alge im Fluß.
Der Himmelsbogen und der Stürme Macht
treiben den Geist in mir auf,
bis es mich fortträgt,
vor Freude bebend.

Uvavnuk