Der Warteort

Der Warteort

Traust du dich hinaus?
Traust du dich hinein?
Was könnte dein Verlust, was dein Gewinn wohl sein?
Und gehst du hinein, gehst du nach links oder rechts?
Oder nach rechts und dreiviertel?
Oder tust du doch nichts?
Du rennst los,
Bist ganz bang,
Durch verschlungene Wege,
Gefährlich und lang,
Und schindest Dich
Mühsam
Durch Wildnis hinfort
An einen, Ich fürchte,
Völlig nutzlosen Ort.

Im Warteort,
Wo Menschen nur warten,
Warten auf einen Zug, der geht
Oder einen Bus, der kommt
Oder ein Flugzeug, das geht
Oder die Post, die kommt
Oder den Regen, der aufhört
Oder das Telefon, das klingelt
Oder den Schnee, der schneit
Oder sie warten
Auf ein „ja“ oder „nein“,
Auf Schmuck, auf Kleider,
Warten in Trance
Auf Lockenperücken
Auf die zweite Chance.

Wie schön!So viel wirst du sehen! Dr. Seuss

Wer wartet braucht Geduld, wer wartet wird belohnt. Wer wartet verharrt, wer wartet verliert. Auf was warte ich?

Warten ist unerträglich, warten gibt Zeit zum Nachdenken. Warte nicht zu lang! Warte ab!

Im Wartebereich des Lebens. In der Warteschlange. Am Warteschalter. Im Wartungsmodus. Im Wartesaal des Glücks.

Wartesemester. Wartehäuschen. Wartender. Abwartende. Erwartungen.

Wartende

Sie sitzt an einem Tisch für zwei Personen

allein mit diesem wachen starren Blick

schaut sie umher als hätt sie was verloren

und hält sich fest an einem Buch: Ihr Strick

der sie herauszieht aus den Augenpaaren

die nach ihr züngeln mitleidlos und spitz

wie Wellen über ihr zusammenschlagen

sie niederdrücken auf den Plastiksitz

der unter ihren Schenkeln klebt. Sie schwenkt

ihr Glas das Eis schmilzt klirrend schneller

sie selbst wird immer kleiner und versänk

gern als Erfindung in ihr Buch

das sie nun zuschlägt. Ehe sie auftaucht

zahlt und geht. Es ist genug.

Ulla Hahn

Rundheraus: das alte Jahr war keine ausgesprochene Postkartenschönheit, beileibe nicht. Und das neue? Wir wollen’s abwarten. Wollen wir’s abwarten? Nein. Wir wollen es nicht abwarten! Wir wollen nicht auf gut Glück und auf gut Wetter warten, nicht auf den Zufall und den Himmel harren, nicht auf die politische Konstellation und die historische Entwicklung hoffen, nicht auf die Weisheit der Regierungen, die Intelligenz der Parteivorstände und die Unfehlbarkeit aller übrigen Büros. Wenn Millionen Menschen nicht nur neben-, sondern miteinander leben wollen, kommt es auf das Verhalten der Millionen, kommt es auf jeden und jede an, nicht auf die Instanzen. Wenn Unrecht geschieht, wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet, wenn Hass gesät wird, wenn Muckertum sich breit macht, wenn Hilfe verweigert wird – stets ist jeder Einzelne zur Abhilfe mit aufgerufen, nicht nur die jeweils „zuständige“ Stelle. Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt. Und jeder von uns und euch muss es spüren, wann die Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handele, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem.

So wünsche ich euch allen, dass im neuen Jahr nicht das Abwarten im Vordergrund steht, sondern das Tun. Alles Gute!

Erich Kästner

Alles fügt sich und erfüllt sich
man müßte es nur erwarten können
abwarten können, hieße Stärke,
aber es macht das Herz krank
und schmerzt so sehr,
man vermißt manches
und plötzlich dreht man sich um
und nichts ist mehr da.

© Sylvia Schwing

Des Sommers Abgesang

Wir TRÄUMEN Und WARTEN

Stumm leben viele zwischen den Gezeiten und warten, bis ein Tag sie heimwärts bringt. Sie schauen sehnsuchtsvoll in blaue Weiten, Und über ihnen laut die Himmelsglocke singt.

Sie stehen an den ausgefahr`nen Straßen, Die Herzen eilen ihren Füßen weit voraus. Wir träumen, warten in den engen Gassen, um mit uns wartet wohl ein leeres Haus . . .

Um ob wir stehen zwischen den Gezeiten, So lange wir auch in die Zeiten schreiten – was war, bringt keine Sehnsucht je zurück, das Leben flieht, entblättert ist das ganze Glück . . .

Alfred Leuch

wie früh … in Gesellschaften … die Angst das Ruder übernimmt. Wie sich fast unmerklich neue Kriterien in den kleinsten Alltagsentscheidungen einschleichen. Was man zu wem noch sagen darf. Wann man ein Restaurant besser verlässt oder einen anderen Weg zur Arbeit nimmt. Das Gehirn gewöhnt sich an die Vorgaben der Angst, integriert sie ins Denken und verwischt die Spuren. Man leidet nicht unter Angst, sondern praktiziert sie. Man passt sich der veränderten Lage an, bis man schmerzlos mit dem Hintergrund verschmilzt.

Julie Zeh „Über Menschen“
Im Reich der Interpunktionen

Im Reich der Interpunktionen
nicht fürder goldner Friede prunkt:
 
Die Semikolons werden Drohnen
genannt von Beistrich und von Punkt.
 
Es bildet sich zur selben Stund
ein Antisemikolonbund.
 
Die einzigen, die stumm entweichen
(wie immer), sind die Fragezeichen.
 
Die Semikolons, die sehr jammern,
umstellt man mit geschwungnen Klammern
 
und setzt die so gefangnen Wesen
noch obendrein in Parenthesen.
 
Das Minuszeichen naht, und – schwapp!
da zieht es sie vom Leben ab.
 
Kopfschüttelnd blicken auf die Leichen
die heimgekehrten Fragezeichen.
 
Doch, wehe! neuer Kampf sich schürzt:
Gedankenstrich auf Komma stürzt –
 
und fährt ihm schneidend durch den Hals,
bis dieser gleich – und ebenfalls
 
(wie jener mörderisch bezweckt)
als Strichpunkt das Gefild bedeckt!
 
Stumm trägt man auf den Totengarten
die Semikolons beider Arten.
 
Was übrig von Gedankenstrichen,
kommt schwarz und schweigsam nachgeschlichen.
 
Das Ausrufszeichen hält die Predigt;
das Kolon dient ihm als Adjunkt.
 
Dann, jeder Kommaform entledigt,
stapft heimwärts man, Strich, Punkt, Strich, Punkt.

Christian Morgenstern

https://www.straitstimes.com/singapore/askst-will-i-get-the-virus-from-the-food-delivery-man-what-about-someone-who-shares-the

Hoffnung auf Hoffnung geht zu Scheiter,
Aber das Herz hofft immer weiter:
Wie sich Wog‘ über Woge bricht,
Aber das Meer erschöpft sich nicht.

Daß die Wogen sich senken und heben,
Das ist eben des Meeres Leben;
Und daß es hoffe von Tag zu Tag,
Das ist des Herzens Wogenschlag.

Friedrich Rückert

https://epidemic-stats.com/

Zuversicht 

Es ist das Wörtchen Zuversicht,
das uns am Leben hält,
denn ohne Hoffnung geht es nicht,
zu grau ist oft die Welt.

Die Zuversicht ist unser Pfand,
des Schicksals Rad zu dreh’n,
denn nirgends gibt’s ein Wunderland,
egal wohin wir geh’n.

Nur eigne Kraft und Zuversicht
läßt lebenswert gestalten,
sonst schafft man diese Bürde nicht
und alles bleibt beim Alten.

Die Zuversicht bringt stets Gewinn
in allen Lebenslagen,
sonst läuft umsonst die Zeit dahin
mit ungelösten Fragen.

Das kleine Wörtchen Zuversicht,
das muß uns stets begleiten,
es ist im Dunkeln auch das Licht,
mit dem wir vorwärts schreiten.

Klaus Ender

https://naturesmortes-palaisdetokyo.com/en/

https://www.arte.tv/de/videos/098771-000-A/welt-auf-abstand/

Keine Worte, keine Gedanken, Pause im Kopf, bei mir, Leere, auch ein Krümel Wut, Sehnsüchte im Herzen, trotzdem ein paar Funken Zuversicht, nicht nur für uns.

Fotos: Singapur, Little India, Mai 2021

Die Dörfer sind vergangen.

Über die Dörfer

Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr. 
Sei nicht die Hauptperson. 
Such die Gegenüberstellung. 
Aber sei absichtslos. 
Vermeide die Hintergedanken. 
Verschweige nichts. 
Sei weich und stark. 
Sei schlau, laß dich ein und verachte den Sieg. 
Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. 
Sei erschütterbar. 
Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. 
Entscheide nur begeistert. 
Scheitere ruhig. 
Vor allem hab Zeit und nimm Umwege.
Laß dich ablenken. 
Mach sozusagen Urlaub. 
Überhör keinen Baum und kein Wasser. 
Vergiß die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, mißachte das Unglück, zerlach den Konflikt. 
Bewege Dich in deinen Eigenfarben; bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. 
Geh über die Dörfer. 
Ich komme dir nach.

Peter Handke „Über die Dörfer“

Wirklich alt ist der Sri Lankaramaya Buddhist Temple nicht. Errichtet 1952 in der Michael’s Road ist er damit wohl ein bisschen historisch für Singapur und könnte bestimmt viele Geschichten erzählen über die Zeit vor fast 70 Jahren. Hochhäuser warfen wahrscheinlich noch keine Schatten auf die große weiße Pagode, die auf dem Dach des Tempels mit ihrem grellweißen Anstrich gegen den blauen Himmel den Eindruck vermittelt, man befinde sich irgendwo im Himalaya. Berühigend lächelt einem der übergroße Buddha in Lotushaltung zu und lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dies auch die nächsten 70 Jahre noch zu tun. Im Garten steht ein Lebensbaum, dessen Blüten ihm gefallen und vor seinen Abbildern niedergelegt werden. Leise erklingt Gemurmel auf einem kleinen Gebetrsraum, meditative Musik als Hintergrundrauschen verstärkt diese gelöste Stimmung, die einen hier befällt und warm umschließt. Wer könnte diesen friedlichen Ort nicht mögen?

Im Central Sikh Gurdwara Tempel bedarf es konformer Kleidung, da wird keine Ausnahme gemacht. Bestimmt, aber sehr freundlich der Zugang verweigert. Für den nächsten Besuch muss ein langes Tuch ins Gepäck, um den Kopf zu verhüllen, langes Beinwerk ist ebenfalls von Nöten. Die Straße fragt nicht nach deinem Aussehen, erlaubt fast alles, ist geduldig mit seinen Besuchern. An jeder Ecke neue Ansichten, Aussichten, Einsichten.

Kleinigkeiten wecken Interesse, 1088A – eine sehr lange Straße hat der Postbote hier zu beliefern. Die zwei Damen aus Porzellan warten geduldig auf ein neues Zuhause. Wie viele Augenpaare wohl schon auf sie blickten und dann doch weitergingen. Die kleinen Eckrestaurants warten auf Hunrige, Durstige, Neugierige oder Plaudertaschen. Besen und Hüte haben Pause. Der Verkehr fließt wie ein stetiger Fluss an allem vorbei. Die Bauarbeiter ziehen vom Frühstück zur Baustelle zurück, um Träume von großen neuen Wohnungen wahrwerden zu lassen. Die Hütten der kleinen Dörfer sind Geschichte, die Bewohner von damals wären sicherlich erstaunt über diese enormen Veränderungen. Gut, das einige alte Häuser noch immer dem Bauboom trotzen. Ein lustiger Kakadu redet viel, darf nicht fliegen, sein Paradies ist woanders.

Ein Relikt aus alten Zeiten findet sich kurz vor dem Indischen Tempel. Kohlen werden hier gehandelt, die ältere Frau ist schwarz wie ein Mohr (darf nicht mehr geschrieben werden, gibt es eine bessere Bezeichnung?), sie schuftet hier schon seit den 60ern. Staublunge vermutlich inklusive. Die schön gemusterten Bodenfließen sind überzogen mit Ruß. Früher wurde viel mit Kohlen geheizt, auch dort wo ich aufwuchs musste geschippt werden, eimerweise in den Keller, eimerweise wieder in die Wohnung geschleppt. Sie sortiert die Kohlenstücke in tragbare Säcke zum Verkauf. Bald will sie sich zur Ruhe setzen, es wird wohl keine Nachfolge geben, vermutlich. Kohlen braucht fast niemand mehr.

Vertraute Klänge schallen aus dem Sri Vadapathira Kaliamman Temple, Glockengebimmel, Mantras werden gesungen oder gesprochen. Die Schuhe vor dem Eingang stehen wild durcheinander, Tauben picken in den vertreuten Blüten nach Genießbarem. Hanuman, der Affenkönig wirft einen erhabenen ernsten Blick auf jeden, der hier vorbeikommt. Friedlich faltet er seine Hände zum Gebet. Im kleinen Laden nebenan liegen Kekse und Gewürze, die Verpackung erinnert an die Kindheit der Kohlenfrau. Vielleicht hat sie sich hier ab und zu eine Süßigkeit geholt, während ihre Eltern damals die Säcke füllten.

Ums Eck locken zwei weitere Tempel, die eine Art Zirkusarena bilden. Wilde Tiere, farbenfrohe Dekoration inklusive. Im Leong San See Temple wird vielen Buddhastatuen gehuldigt, die alte Dame im Rollstuhl ist bei der angenehm ruhigen Atmosphäre eingenickt. Gegenüber bespricht sich eine Frau im Tierdruckshirt mit dem Tiger vor dem Sakya Muni Buddha Gaya Temple. Der riesenhafte Buddha im Inneren passt auf kein Foto und erschreckt mehr, als beruhigend zu wirken. Sehenswert ist es trotzdem. Heute nur für Einheimische, die Zeit finden und vielleicht den Schatten suchen.

Serangoon endet oder beginnt in Little India. Dörfer sucht man vergeblich. Das letzte Kampong liegt in Pungol. Es wartet schon auf einen Besuch.

Allerlei streift den Blick auf den letzten Metern, ein bunter Strauß voller Nebensächlichkeiten, die dieses Viertel so lebendig erscheinen lassen. Hinter jeder Straßenecke verbirgt sich eine Gasse voller kleiner Geheimnisse. Wer genau hinschaut findet sein Seelenheil. Nie war der berühmte Mix der Kulturen derart greifbar, spürbar, erlebbar, genießbar, wunderbar. Mögen diese Gassen ihren Charme nicht verlieren und für die kommenden Besucher standhaft der Modernisierung trotzen. Sie hätten es verdient.

Genau hinsehen

Fülle ist nicht immer Fülle.
Nur zusammen mit Leere
ist Fülle Erfüllung für uns.
Das Leben braucht den Platz der Leere,
um sich auszubreiten und seine einmalige Gestalt anzunehmen.

Zeit ist nicht Geld, sondern Zeit.
Wenn ich der Zeit erlaube, sich mir zu schenken,
wird sie mich mit Reichtümern überschütten.
Dann wird durch die Zeit
die Ruhe und das Glück des Entdeckens möglich.

Beschäftigung ist nicht Bedeutung.
Was ich ohne Beteiligung meines Wesens tue,
bleibt nur die Tat meiner Hände, meiner Lippen, meines Körpers.

Ein volles Programm ist nicht unbedingt ein erfülltes Programm.
Weniger zu tun kann heißen, mehr getan zu haben,
wenn es von Herzen kam.

Jeder Weg, der zu etwas führt,
führt auch weg von etwas.
Ich übe, im Wenigen die Fülle zu sehen.

© Ulrich Schaffer

Flashback To India

Jeder Europäer, der nach Indien kommt,

lernt Geduld, wenn er keine hat,

und verliert sie, wenn er sie hat.

Aus Indien

Nicht zum ersten Mal bin ich an diesem Nachmittag an der Station „Little India“ ausgestiegen und fühlte mich fast wieder wie in Bangalore, der Stadt in Südindien, in das unsere Familie 2011 umgezogen war. Sofort empfängt mich das bunte Treiben hier, die farbenfrohe Kleidung der Menschen erinnert mich an die quirligen Straßen in der Millionenstadt, die wie ein großes Abenteuer damals vor uns lag. „Kinoprogramm“ durch die Fensterscheibe auf jeder Autofahrt im dichten und lauten Verkehr, ich konnte den Blick anfangs gar nicht abwenden. Lautes Hupen ist hier in Singapur nicht zu hören und auch die Rikshas und Kühe fehlen im Straßenbild. Trotzdem liebe ich dieses Viertel, das mich so sehr an die Zeit damals erinnert.

Heute wartete Charlotte unser Guide für eine Deepavali-Tour am Eingang auf uns Teilnehmer. Sie hatte frisch duftende Jasminarmbänder für alle dabei und natürlich auch Bindis, die Punkte für das dritte Auge. Roter Punkt bedeutet „verheiratet“, schwarzer Punkt „unverheiratet“, alle anderen Farben sind nur für die modischen Geschmäcker eingeführt worden. Im Tempel bekommt man die klassische Variante, rotes Pulver steht gleich in riesigen Schüsseln am Eingang bereit. Als alle Teilnehmer versorgt waren, erklärte sie uns die bevorstehenden Festlichkeiten rund um das indische Lichterfest, das ungefähr unserem Weihnachtsfest entspricht. Neun Tage wird gefeiert, die Familie kommt zusammen, Tempel werden besucht, Feuerwerk (vor allem in Indien) wird abgebrannt, dass es so richtig kracht, es gibt sehr viel zu essen und natürlich auch Geschenke. Alles wird mit unzähligen bunten Lichtern geschmückt. Sie erzählte uns einige spannende geschichtliche Fakten zum Viertel und zeigte historische Fotos. Auch die hier aufgestellten Guinessbuchrekorde durften nicht fehlen. Ich verrate nichts, die nachfolgenden Tourteilnehmer sollen selbst lachen dürfen.

Betelblätter

Es zog uns in durch die Seitenstraße vorbei an den kleinen Ständen, die auch heute den schönen Blumenschmuck im Angebot haben. Gerne tragen indische Frauen diesen im Haar, aber auch für die Dekoration der Gottheiten werden diese Girlanden benutzt. Es duftet nach Obst, Räucherstäbchen und Jasmin – ein Genuss für alle Sinne.

Weiter ging es entlang der Buffalo Road, deren Name von den Kühen stammt, die es hier früher reichlich im indischen Viertel gab. Der Milchmann kam direkt mit der Kuh vor die Haustür zum Melken, frischer geht es nicht. Kühe sind bekanntlich heilig für die Hinduisten und werden auch heute noch verehrt. In Bangalore taten mir die manchmal sehr abgemagerten Kreaturen leid, wenn sie im Müll der Straße nach Essbarem suchten. Mitunter sterben die Tiere an den Plastiktüten, die zusammen mit dem Abfall verspeist werden. Viele Besitzer kümmern sich aber weiterhin sehr gut um ihrer Tiere und lassen sie in den Dörfern auf frischen Wiesen grasen, schmücken sie prächtig für Feste und schätzen ihren Wert für die Familie.

Heute nur noch ausgestopfte Tier im Straßenbild.

Wir machten Halt am Shree Lakshminarayan Tempel, der eher ein untypisches Aussehen für einen indischen Tempel hat. Die roten Dreiecke auf weißem Grund wirken eher wie eine HDB Fassade, auch die sonst reichhaltige Verzierung mit Gottheiten und Tieren fehlt. Den Tempel gibt es seit 1969, er wurde hauptsächlich für die aus Nordindien stammenden Hinduisten in Singapur erbaut. Der Eintritt wurde uns trotz Covid-Restriktionen erlaubt. Ich erinnere mich sofort an unseren ersten Tempelbesuch auf dem Weg in die Nandihills nördlich von Bangalore. Der Priester dort feierte eine Puja (Zeremonie) mit unserer Familie. Gegen einen kleinen Geldbetrag sprach der Priester Gebete, dabei wurde eine Öllampe über den Köpfen oder vor dem Gesicht gekreist. Auch heiliges Wasser bekamen wir ins Gesicht gespritzt und am Ende den obligatorisch roten Punkt zwischen die Augen auf der Stirn platziert. Auch hier in Singapur sehe ich sehr viele kleine Schreine in den Hawkercentern, an denen die Menschen beten. Im Tekkamarkt hat wohl jeder Ladenbesitzer seinen kleinen eigenen Schrein, an dem er täglich eine Puja abhält, um seiner Gottheit zu huldigen, für bessere Geschäfte, Gesundheit in der Familie und alle anderen Wünsche.

Gleich um die Ecke des Tempels befindet sich eine weitere historische Sehenswürdigkeit des Viertels, das Tan Teng Niah. Die Villa, die um 1900 von einem aus Indien stammenden Geschäftsmann erbaut wurde vereint chinesische und europäische Gestaltungsmerkmale. So finden sich typische chinesische Dachziegel, schwingende Türen und eine sehr bunte Fassade, die erst nach der Rekonstruktion angebracht wurde. Ein sehr beliebtes Fotomotiv für Touristen oder momentan für die hier lebenden Ausländern.

Tan Teng Niah

Zeit für eine kleine Pause. Indien ist bekannt für seine vegetarische Küche und den Chai. Charlotte führte uns zu einem kleinen Restaurant, welches beides im Abgebot hatte. Wir testeten mit Milch aufgekochten Ingwertee, Pratas (eine Art Pfannkuchen) und weitere indische Snacks. In Little India gibt es wirklich sehr autentische Küche, die für jeden Geschmack etwas bietet. Wer schon einmal einen 24 Stunden gekochten schwarzen Dhal (Linsengericht) mit frisch gebackenem Naanbrot gekostet hat, wird immer wiederkommen. Meine Kinder, damals noch jünger, ernährten sich während unserer Zeit in Indien mit Vorliebe von Gemüsereis, Naanbrot, Pratas und süßen Chapatifladen. Auch für das Nachkochen von indischen Gerichten ist Little India der beste Anlaufpunkt, denn hier finden sich alle Zutaten und Gewürze für die indische Küche.

Die Offenheit der indischen Bevölkerung ist und war mir immer eine Freude. Ein Lächeln auf dem Gesicht, Interesse an der Herkunft und ein freundliches Gespräch – in Bangalore Alltag. Auch hier im indischen Viertel ist es ein Leichtes mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Als Fotografin erlebt man selten ein „Nein“ bei der Bitte nach einem Foto. Und das Strahlen im Gesicht der Menschen, denen ich immer wieder auch ausgedruckte Fotos von sich geschenkt habe, ein unbezahlbarer Moment.

Vorbei an einem der haushohen Wandmalereien zog es uns in die Serangoon Road, Hauptverkehrsader durch das immer belebter werdende Viertel. Gegen frühen Abend strömen immer mehr Menschen in die Läden, Restaurants und Tempel. Wir hatten noch eine Sari-Vorführung vor uns.

Meinen Sari hatte ich mir damals für einen Wohltätigkeitsball schneidern lassen. Allein die Stoff- und Farbauswahl stellte schon eine ziemliche Herausforderung dar. Bei dem vielfältigen Angebot nimmt man am besten eine indische Bekannte oder wenigstens eine Freundin zur Beratung mit. Ein Sari besteht zu Beginn aus einer einzigen langen Stoffbahn, die schon so gewebt und bestickt ist, dass daraus ein seperates Oberteil maßgeschneidert werden kann. Der Rest wird in einer komplizierten Technik um den Körper gewicktelt, dabei aufwendig gefaltet. Das bekommt man allein so gut wie gar nicht hin. Mir hat damals unsere Angestellte geholfen und alles mit Sicherheitsnadeln festgesteckt, damit das fertige Outfit den Abend übersteht. Wenn er einmal sitzt fühlt es sich wirklich sehr elegant an und man schwebt quasi wie eine Königin durch den Ballsaal. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Danach habe ich mir den Sari so umnähen lassen, dass er sich quasi wie ein Rock mit langem Tuch anziehen lässt und nur die „Schärpe“ richtig gefaltet und festgesteckt werden muss.

Moderne Stoffe mit Animalprint sind der Renner momentan.
Aufwändige Stickerein auf Seide oder Leinen
Unser Model Miriam sollte sich einen Sari zulegen.

Je mehr sich die Sonne neigte und langsam der Abend anbrach, umso hektischer wurde es in den Straßen und Gassen. Überall strömten die Menschen, um sich mit den für Diwali (nordindische Schreibweise) notwendigen Dingen einzudecken. Die Geschäfte haben vor den Läden noch weitere Zelte aufgestellt, um Tischfeuerwerk, kleine Knaller, Lichterketten, Kerzen, Rangolifarben, Blumenschmuck und Süßigkeiten anzubieten. Jeder trägt einen oder mehrere Beutel nach Hause, um zu schmücken und den 14.11. vorzubereiten. Deepavali (südindische Schreibweise) feiert man immer am Neumondstag 20 Tage nach Dashahara, einem weiteren hinduistischen Fest. Ja, die indische Bevölkerung hat sehr viele Feiertage, ähnlich der vielen Gottheiten, die verehrt werden. In Indien haben wir einfach immer alles mitgefeiert, sei es das Ganeshafestival, das Shivafestival, Holi (Frühlingsfest) oder die Fahrzeugzeremonie. Jedesmal waren wir mit Begeisterung dabei und tauchten ein wenig tiefer in die kulturellen Höhepunkte des Landes ein.

Aus dem Sri Veeramakaliamman Tempel an der Ecke Belilios Road / Serangoon Road drangen helle Glockenschläge und Gesang von einer Musikanlage. Auch wenn keine Zeremonie stattfindet lohnt sich ein Blick ins Innere, wenn man hier vorbei kommt. Schließlich ist er einer der ältesten Hindu-Tempel in Singapur und jetzt auf dem bergähnlichen Dach ganz typisch verziert. Mit kurzem Halt am Chapatistand und einer Erklärung zur Alkohlverbotszone schlendern wir durch die im Abendlicht leuchtenden Straßen, die gesäumt sind von den altehrwürdigen Townhouses dem Endpunkt unserer Tour entgegen. Wer wollte konnte sich noch eindecken mit Lichtwerk für die eigene Wohnung oder in einem der Restaurants den Abend gemütlich ausklingen lassen. Die aufwendig installierte Lichtdekoartion entlang der Serangoon Road sollte man sich auf keinen Fall bei Dunkelheit entgehen lassen. Eine wahrer Augengenuss.