Ich seh Rot!

Die Wahrnehmung von Rot entsteht, wenn das Licht eine Wellenlänge von 600 nm bis 800 nm hat. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren kann der Mensch diese Farbe sehr gut wahrnehmen.

Dunkles Rot wird als Braun wahr genommen. Aus diesem Grund wird rote Beleuchtung in bestimmten Etablissments, aber auch beim Bäcker, eingesetzt, um eine angenehme Bräunung der Objekte vorzutäuschen.

Rot ist, sprachwissenschaftlich betrachtet, eine der ältesten Farben mit eigenem Wort: Rot. Daneben kannte man damals nur noch “hell” und “dunkel”. Rot kommt vom althochdeutschen rôt, welches vom germanischen rauðaż abstammt. Dessen Herkunft ist das indogermanische ẖereúdʰ, das die Farbgebung von Kupfer, Gold und anderen Metallen beschreibt. Quelle: https://fantastokrat.de

Eine der ältesten Formen von Rot stammt aus Ton, der durch das Mineral Hämatit einen roten Farbton erhält. Tatsächlich wurden Beweise dafür gefunden, dass Menschen in der Jungsteinzeit roten Ocker schliffen, um ihre Körper zu bemalen.

Rot war neben Weiß und Schwarz eine der wenigen Farben, die von Malern in der Altsteinzeit verwendet wurden, weil sie in der Natur leicht zu beschaffen war. Die prähistorischen Höhlenmalereien in Altamira, Spanien, die zwischen 16500 und 15000 v. Chr. entstanden sind, sind frühe Beispiele für Malereien mit rotem Ocker.

Rot war auch im alten China bekannt, mit frühen Beispielen rot gefärbter Keramik aus der Zeit zwischen 5000 und 3000 v. Chr. Spuren von rotem Ocker wurden sogar auf einer Farbpalette im Grab von König Tut in Ägypten gefunden.

Im alten Ägypten wurde roter Ocker als Kosmetik für Frauen verwendet, um ihre Lippen und Wangen zu färben. Während der Feierlichkeiten färbten die Menschen ihre Körper mit dem Pigment. In der ägyptischen Kultur hatte Rot Assoziationen mit Leben, Gesundheit und Sieg. Das Pigment wurde auch häufig in Wandmalereien verwendet. Quelle: https://www.daskreativeuniversum.de

Eine Vielzahl von Rottönen wurden im Laufe der Geschichte in der Mode verehrt, aber der Designer Christian Louboutin machte einen bestimmten Farbton zu seiner Lieblingsfarbe – Chinesisches Rot (nicht zu verwechseln mit Zinnoberrot, das manchmal auch als chinesisches Rot bezeichnet wird). 1992 enthüllte er seine Schuhe mit einer Sohle in der Farbe Rot, die schnell zum unverwechselbaren Markenzeichen der Louboutins wurden. Diese sehr spezifische Farbe (Pantone 18-1663 TPX) wurde zum Synonym für die Marke und führte Louboutin dazu, seine roten Sohlen in mehreren Ländern zu vermarkten.

Louboutins charakteristische rote Sohlen sind zufällig entstanden. Während er an einem Prototyp arbeitete, spürte er, dass dem Entwurf etwas fehlte. Da bemerkte er, dass eine Assistentin ihre Nägel rot lackierte und beschloss, auch die schwarze Sohle der Schuhe rot zu beschichten. Quelle: https://www.daskreativeuniversum.de

Von Orangetönen bis hin zu tiefen Weintönen hat die Farbe Rot seit jeher eine besondere Bedeutung für Kulturen auf der ganzen Welt. Die warme Farbe wird in der westlichen Kultur am häufigsten mit Liebe assoziiert und ist nach wie vor eine attraktive, lebendige Farbe, die sofort Aufmerksamkeit auf sich zieht.

In vielen Kulturen symbolisiert Rot Freude und Glück. In vielen asiatischen Ländern tragen Bräute Rot als Symbol für Fruchtbarkeit und Glück. In Europa wurde Rot mit dem Adel und dem Klerus gleichgesetzt.

Seit der Antike in Kunst und Textilien weit verbreitet, ist die Farbe Rot kraftvoll und repräsentativ. Quelle: https://www.daskreativeuniversum.de

Dass Rot besonders anregend oder aufregend wirkt, ist physiologisch messbar. Seine emotionalen Wirkungen oder assoziativen Bedeutungen bewegen sich dabei in einem weiten Spektrum, das von Liebe, Sinnlichkeit und Fruchtbarkeit über Erregung, Leidenschaft und Zorn bis zu Kampf, Krieg und Tod reicht. In der Antike war Rot die Farbe der Männlichkeit und des Kriegs, weshalb der «rote Planet» nach dem römischen Kriegs-gott Mars benannt wurde. Zu anderen Zeiten oder in orientalischen Kulturen war Rot eher die Farbe der Weiblichkeit. Im Fernen Osten galt Rot seit alters her als die Farbe des Glücks, des Reichtums und der Bannung böser Geister. In der christlichen Welt war Rot dagegen ein Symbol des Leidens Christi und seiner Nachfolger, der Blutzeugen und Märtyrer. Unter Berufung auf sie hüllten die Kirchenfürsten sich in jenen Purpur, der im vorchristlichen Rom bereits ein Zeichen von Vornehmheit, Macht und Reichtum war und es das ganze Mittelalter hindurch blieb. Quelle: Koenen „Die Farbe Rot“

Hier bin ich! Rot ist eine Farbe, die gesehen werden will. Sie verkörpert Energie und Selbstbewusstsein, kann aufgrund ihrer Signalwirkung aber auch als „too much“ empfunden werden. Quelle: https://www.gerryweber.com/de-de/mode-ratgeber/farben-bedeutung/

Rot stellt eine wichtige Farbe in asiatischen Kulturen dar. Die Farbe symbolisiert Werte wie Glück, Freude und Wohlstand. An ihrem Hochzeitstag tragen Bräute in Asien häufig Rot. Auch in Indien verbindet man mit Rot neben der Heirat typische Eigenschaften wie Reinheit, Spiritualität und Kreativität. Rot bedeutet zudem Glück in Ägypten und im Iran. Für einige Länder in Afrika steht Rot jedoch für Tod oder Aggression.

Laut den Lehren des Feng-Shui wirkt Rot aphrodisierend und anregend. Rot eignet sich unter anderem für Schlafzimmer und soll erfrischend auf Menschen wirken, die morgens schlecht aus dem Bett kommen. Für Aufsehen sorgt man mit Rot in der Mode. Bekleidung in Rot wirkt zumeist energievoll und selbstbewusst. Quelle: https://www.designerinaction.de/design-wissen/bedeutung-farben/

Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, schwer und brutal und stets die Farbe, die von den anderen Farben bekämpft werden muß.

Franz Marc (1880 – 1916)

Rot wirkt nahe, greifbar und materiell im Gegensatz zu Blau, das entfernt, immateriell und transparent wirkt. Rot ist die Farbe der Kraft, der Aktivität und der Aggressivität. Blau dagegen wirkt sanft, passiv und ruhig. Rot wird assoziiert mit Feuer und Männlichkeit, Blau dagegen mit Wasser und Weiblichkeit. Es gibt jedoch auch ein weibliches Rot. Es ist das dunkle Rot. Naturreligionen assoziieren Rot mit einer geschlechtsbezogenen Symbolik des Blutes. Das helle Rot symbolisiert das Männliche, die Leidenschaft, dagegen das dunkle Rot das Weibliche, die Fruchtbarkeit. In Wüstenländern wird Rot mit Gluthitze gleichgesetzt und bekommt einen unangenehmen, negativen Aspekt. In kalten nördlichen Ländern, wo man sich nach Wärme sehnt, hat Rot eine angenehme, positive Bedeutung. Im russischen Sprachgebrauch steht Rot synonym mit wertvoll und schön. In manchen Sprachen wird Rot gleichgesetzt mit farbig: so im spanischen wo Rot “colorado” heißt. In den Weltsprachen ist Rot ist die älteste und urspünglichste Farbbezeichnung. Rot wird allgemein mit Blut und Feuer assoziiert. In der hebräischen Sprache haben Blut und Rot denselben Ursprung. Bei den Eskimos bedeutet Rot wörtlich übersetzt “wie Blut”. Quelle: Farben Wahrnehmung Assoziation Psychoenergetik von Franz Immoos

Einige Primaten können Farben sehen, viele andere Tiere dagegen nicht. Der Grund schien klar zu sein: Wer die Welt bunt wahrnimmt, findet besser reife Früchte. Jetzt haben Neurobiologen eine ganz andere Erklärung parat.

Der komplette Artikel findet sich hier: https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/warum-affen-rot-sehen/

Die Begriffe Rot-Grün-Sehschwäche und Rot-Grün-Blindheit stehen für bestimmte erbliche Farbfehlsichtigkeiten. Es handelt sich hierbei um Störungen der Farbwahrnehmung, wobei die Betroffenen die Farben Rot und Grün schlechter als Normalsichtige unterscheiden können. Eine Grünschwäche tritt deutlich häufiger auf als eine Rotschwäche. Zudem sind signifikant mehr Männer betroffen.[1] Die medizinischen Fachbegriffe hierfür lauten Deuteranomalie oder Deuteranopie für Grünschwäche und Grünblindheit, sowie Protanomalie und Protanopie für die entsprechende Rotstörung. Quelle: Wikipedia

Der rote Faden im Leben sollte zur Abwechslung auch mal
mit einem andersfarbigen verknüpft werden.

Helmut Glaßl

Die Farbe Rot: Rot wird vorzugsweise dann eingesetzt, wenn unsere Lebenskräfte geschwächt sind. Es erhöht unseren Energiepegel, unsere seelische Kraft: Denn Rot regt alle Vorgänge im Körper an, stimuliert die Stoffwechselaktivitäten und übt einen starken Einfluss auf das vegetative Nervensystem aus. Eine belebende und positiv verstärkende Wirkung, hat das warme Rot auch auf emotionaler Ebene. Es steigert die Sinnlichkeit, das bewusste Erleben und Fühlen und den Ausdruck ungehemmter Leidenschaft. Auf mentaler Ebene, vermittelt uns die Energie der Farbe Rot einen starken Willen, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. (Quelle: www.innovative-eyewear.de)

Aufgrund ihrer wohltuenden und wärmenden Wirkung, wird die Farbe Rot (als Infrarotstrahlung) zu Heilzwecken eingesetzt. Allgemein wirkt sie anregend und appetitfördernd. Die bloße Wahrnehmung der Farbe Rot, erhöht den menschlichen Stoffwechsel um 13,4 Prozent (Quelle: Theroux, 1998). Sie ist die Lieblingsfarbe der Kinder. Die Psychotherapie macht sich die Farbe Rot zunutze, um blockierte Fähigkeiten zur konstruktiven Aggression und zum Ausleben von Sexualität zu lösen.

Die Farbe Rot kann aber auch destruktive Aggressionen und Gewaltbereitschaft auslösen. Die von dem Künstler Barnett Newman ausgestellten, riesigen Leinwände mit großem Rotanteil, wurden von Betrachtern angegriffen und beschädigt. Die Stierkämpfer in Spanien, reizen die Stiere mit roten Tüchern. Doch dies ist ein Trugschluss, denn die Stiere sind farbenblind und würden auch auf andere Farben reagieren. Sie reagieren lediglich auf die Bewegung der Toreros.

Rot ist die Farbe der Gefühlsausbrüche: Wenn man sich schämt oder wenn man wütend wird, errötet man. Wer die Kontrolle über sich selbst verliert, „sieht Rot“. Quelle: https://www.lichtkreis.at/wissenswelten/welt-der-farben/die-farbe-rot/

Und am Schluss: GELB! Wer es bis hier hin geschafft hat, kann jetzt seine Augen ausruhen.

Antwort aus der Stille

Ob sie denn mitkommen würde? Einfach mitkommen, auf und davon, über alle Berge? Sie muss blinzeln, da sie den Kopf dreht und ihn anschauen will …

In irgendein Land, sagt er, wo es keinen Alltag gebe, wo man keinen Menschen kenne, wo man wirklich leben könnte, ohne Bindung und ohne Rücksicht, ohne alles, was nicht dazu gehört, ein wirkliches Leben ohne Gewöhnung ein Leben voll Erlebnis, ein Leben, wie es unsere Sehntsucht kennt, ein neues und anderes, ein lebenswertes Leben -!

Irene schweigt; aber es ist ihr, als habe sie das auch schon gedacht. Warum folgen wir unserer Sehnsucht nicht? Warum knebeln wir sie jeden Tag, wo wir doch wissen, daß sie wahrer und reicher und schöner ist als alles, was uns hindert, was man Sitte und Tugend und Treue nennt und was nicht das Leben ist, einfach nicht das Leben, das wahre und große und lebenswerte Leben! Warum schütteln wir es nicht los? Warum leben wir nicht, wo wir doch wissen, daß wir nur ein einziges Mal da sind, nur ein einziges und unwiederholbares Mal, auf dieser unsagbar herrlichen Welt!

Man könnte so viel, sagt er, wenn man Mut hat. Man könnte alles zusammenpacken, was man besitzt, und alles verkaufen; man hätte Geld genug, damit man über die Grenze kommt und durch das nächste Land. Am besten dürfte es sein, meint er, wenn man gegen Süden ginge. Man könnte wandern und in Dörfern schlafen, deren Namen man noch niemals gehört hat; so würden es die Namen heimlicher und unverwechselbarer Nächte. Und wenn es Sommer ist, könnte man auch im Freien schlafen, irgendwo in einem Feld, wo ein fremder Mond über den weißen Nebeln schwimmt und fremde Vögel rufen. Man könnte zu Bauern kommen, deren Sprache man nicht versteht, und man würde Garben binden, einen ganzen Tag, damit man weiterleben darf, und es wäre kein leichtes Leben, das gibt er zu, es wäre ein hartes und oft verzweifeltes Leben, ein bodenloses und aufreibendes Leben, aber es wäre ein Leben!

Und es könnte ja sein, daß man auch einmal eine Stelle findet, wo das andere weiterziehen muß, und es gäbe Abschiede, die vielleicht für immer sind, Abschiede in fremde Städte, wo bunte Schiffe im Hafen stehen, wo man sich küßt und weint und nicht vor den Gesichtern bangt, die man nicht kennt, und wo man einfach auf einem Koffer sitzt, allein, ohne Bindung und ohne Adresse, nach allen Winden bereit. Es könnte auch sein, daß man auf dem Schiff einen blassen Herrn trifft und daß man Glück hat, daß man in eine Farm kommt, wo man für viele Jahre bleibt und Nützliches leistet. So gut es sein könnte, daß man in Seenot kommt und irgendeinen Gott erkennt, bevor man untergeht, einen wirklichen Gott vielleicht, der uns erlöst, wenn er uns sterben läßt. Warum sollte es nicht sein?

Wie die Winde sind die Möglichkeiten des Lebens, und warum wagt man nie, die Segel auszuspannen? Alles ist besser als ein Leben, das nicht gelebt ist, sogar das Unglück ist besser, der Schmerz und die Verzweiflung, das Verbrechen, alles ist besser als die Leere! Und es könnte auch sein, daß man sich treu bleibt, weil man sich nichts versprach: daß man sich noch einmal begegnet, irgendwo in der Welt, an einem Abend vielleicht, man könnte sich noch einmal die Namen jener Dörfer sagen, die die Namen heimlicher und unverwechselbarer Nächte sind, man könnte erzählen, was seither war, und es wäre gewiß nicht wenig, es wären viele Qualen und Irrtümer dabei, aber keine Leere, es wäre ein Abend, der alles versöhnt, der unsere Geburt und unser Sterben wert ist, es wäre vielleicht in einem Bahnhof, wo die Menschen wie lärmende Schatten vorbeieilen, oder auf einem Damm draußen, wo man übers Meer schaut und das Tosen hört, wo man nicht sprechen kann und sich nur die Hände hält. Wie groß könnte eine solche Liebe sein, die sich nicht halten wollte!

Und eines Morgens, wenn das andere noch schläft, warum soll man nicht leise aufbrechen, warum soll man nicht ein Glück verlassen, bevor es uns verläßt, warum soll man jede Sehnsucht ersticken? Leben ist Sehnsucht, und es könnte sein, daß das Verlorene größer ist dann alles, was man ergriff, und daß man erst wirklich lebt, wenn man den Mut zum Verlieren hat, wenn man alles abwirft, seinen Namen und sein Bürgertum und alles, nur sein Schicksal nicht, und wenn man lebt, als lebe man immer seinen letzten Tag –

Dann schauen sie lange in die Bläue, die so tief erscheint, wenn man auf dem Rücken liegt und nichts anderes schaut, so tief und dunkel, als sehe man, jenseits des Tages, die Weltnacht.

Mut, sagt er, nur Mut brauche es dazu –

Und ein Ernst, den sie kaum erwartet hat, ein jugendlicher, stürmischer Ernst ist in seinem Gesicht, als er sich aufgerichtet hat und sie anblickt: Ob sie diesen Mut hätte? fragt er und hält sie sehr fest, fast schmerzend fest: Ob sie diesen Mut hätte, aufzubrechen in ein neues und wirkliches Leben, wo es keine Rücksicht gibt und wo man alles wagt für seine Sehnsucht? Und wirklich aufzubrechen? Und aufzubrechen mit ihm?

Oh! sagt sie nur …

Dann hat sie ihn niedergezogen, mit sanfter und weicher Macht, ganz in ihre Arme, ganz an ihre Brust, und unter Küssen, die sehr heiß und sehr entfesselnd sind, versprechen sie es : daß sie alles vergessen wollen, alles vergessen, was vergangen ist, und alles opfern, was nicht zu ihrer Zukunft gehört, zu ihrer Sehnsucht, zu ihrer Liebe, zu ihrem neuen Leben.

Alles? fragt sie. Und er beschwört es: Alles!

Text: Max Frisch „Antwort aus der Stille – Eine Erzählung aus den Bergen“, erschien erstmals 1937 in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart/Berlin.

Katong – ein Spaziergang

Wir gehen ein Leben lang in einem großen, zunächst unsichtbaren Labyrinth spazieren. Die wahre Lebenskunst besteht darin, daß wir auch dann, wenn wir das Labyrinth sehen, weiter spazierengehen.

Sigbert Latzel

Sie geht die steilen Stufen der schmalen Treppe hinunter, die mit winzig kleinen Kacheln gefliest sind. Ihre Schultasche unter dem Arm geklemmt, heute leichter als sonst, die ersten beiden Stunden fallen aus, Zeit zum Bummeln, wie sie es liebt. Unten grüßen die gemalten Hunde von der Hauswand, im Nachbarhaus steht immer noch das kleine Stoffauto auf dem Briefkasten, das dem frechen Nachbarsjungen gehört. Es ist angenehm warm um diese Zeit, die Sonne zeigt sich nach zwei Tagen Dauerregen endlich wieder am Himmel und einige flauschig weiche Wolken ziehen ihre Bahnen über ihrem Kopf. Sie mag das Viertel, in dem sie schon seit ihrer Geburt wohnen, immer gibt es hier Neues zu entdecken oder Altbekanntes zu bestaunen. Der morgendliche Ansturm an Verkehr und Fußgängern ist bereits durchgezogen, jetzt herrscht nahezu Stille und sie hat die schattigen Fußwege unter den Arkaden der Häuser entlang fast für sich alleine.

Vollkommenheit wird nie erreicht,
man sieht sie bestenfalls verschwommen,
weil sie uns deshalb stets entweicht,
denn sie verspricht auch immer nur das Kommen.

Erhard Blanck

Sie mag den orange gerahmten Verkehrsspiegel, der tief genug an der Ecke steht, dass sie hineinsehen kann und sich heute über die Wolken freut, deren Lücken wieder Farbe an den Himmel zaubern. In den Kirschblütenzweigen hängen immer noch die Glücksbringer der chinesischen Familie. Auch wenn die Blüten nicht echt sind und sie einen Frühling nicht kennt, die Zweige erhellen jeden Tag ihr Gemüt, wenn sie daran vorbei geht. Das Viertel ist so herrlich bunt, die alten Häuser erhalten immer wieder einen satten Anstrich. Beim Chiropraktiker, der im blau-türkisen Stadthaus seine Praxis betreibt, steht heute ein Mann am Fenster. Als ob er sie beobachtet. Scheu winkt sie im zu, wartet aber vergeblich auf eine Reaktion. Vorbei geht ihr Weg an dem roten und dem gelben Postkasten, wenn sie schnell genug daran vorbei huscht verschwimmen die Farben und Formen. Am Haus Nummer 323 hängt noch immer der rot glitzernde Weihnachtskranz an der Tür. In den Kugeln tanzt ihr Spiegelbild mit jeder kleinsten Bewegung.

Die meisten Talente entwickeln sich am Ort der größten Vielfalt

Torsten Marold

Ob ihre Mutter sie auch immer so zärtlich im Arm gehalten hat, wie die Frau auf dem großen Wandgemälde? Sie hat noch nie eine solche schwarz-weiß gescheckte Kuh gesehen, und auch Sonnenblumen blühen nie in den Parks der Stadt. Sie wird ihre Lehrerin fragen, in welchem Land sie diese finden würde, die Kühe und die Sonnenblumen.

Bevor sie die Straße überquert lässt sie den Lastwagen vorbei, in dem ihr der Beifahrer ein kleines Lächeln schenkt. Oben bei Tante Li sind die Fensterläden weit geöffnet. Sie ruft laut „Guten Tag“, manchmal ruft die Tante zurück, wenn sie nicht das Radio zu laut gestellt hat und sie hören kann. Der kleine Gemischtwarenladen hat schon geöffnet und seine Klingel auf dem Hocker vor dem winzigen Laden platziert. Manchmal ist sie mutig und klingelt, um dann ganz schnell wegzurennen. Heute mag sie den Besitzer nicht ärgern, vielleicht muss sie nach der Schule für ihre Mutter dort einkaufen und er schimpft womöglich über ihren Streich.

Um ein Kind auf den Weg bringen, den es einschlagen sollte, reise hin und wieder selbst dort entlang.

Josh Billings

Als sie in ihre Lieblingsstraße einbiegt, leuchten ihre Augen mit den bunten Häusern um die Wette. Im Sonnenlicht sind sie noch schöner und es erscheint ihr jedesmal, als ob sicvh ein Regenbogen die Straße entlangzieht. Zuvor biegt sie kurz in die kleine schmale Gasse ab, um den auf der ockerfarbenen Wand gemalten Kindern „Hallo“ zu sagen. Die beiden haben es gut und können auf einer Welle reiten. Ihr Vater erzählte ihr, dass hier früher sehr viele der Peranakans gewohnt haben, Leute wie sie. Die schönen Fliesen an den Häusern zeugen von dieser Kultur. Immer wieder kann sie vor den Eingängen stehen bleiben und die unterschiedlichen Muster und Farben der kleinen quadratischen Kunstwerke bestaunen. Ob in dem rosa getünchten Haus eine Prinzessin wohnt? Aus der Gasse daneben strömt ihr der Geruch von Yamswurzel entgegen. Gleich entdeckt sie den Topf. Auf dem Kocher im Freien bruzelt das Gemüse in Öl und Zwiebel mit einem Schuss Sojasoße. Tante Li kocht ihr ab und zu eine Portion, die fast genau so wie Süßkartoffeln schmecken. Vorbei am endlos in den Himmel wachsenden Kaktus, den auch der Stacheldraht nicht aufhalten kann, nimmt sie die Abkürzung durch die Hinterhöfe, für die letzte Wegstrecke zur Schule.

Wenn du es eilig hast, geh langsam. Wenn du es noch eiliger hast, mach einen Umweg.

Aus Japan

Heute ist das Gitter an der Baustelle einen Spalt geöffnet. Die Arbeiter scheinen sich im Gebäude verkrochen zu haben, es ist still und sie schiebt ihren schmalen Körper in den kleinen Innenhof. Die Wendeltreppe ins Obergeschoss hat auch schon bessere Tage erlebt. Überall bröckelt der Putz und Risse zieren jede Wand. Zwischen den Wasserrohren entdeckt sie ein Paar Gummistiefel, eingeklemmt warten sie auf Regenwetter, dass heute ausbleiben wird. Wer hier wohl einzieht, wenn das Haus fertig renoviert ist? Vielleicht eine Familie mit Kindern. Draußen wartet die Stuhlparade auf Gäste, die sich eine Ruhepause gönnen. Wäsche hängt zum Trocknen im Freien und die beiden Pappkinder stehen noch immer in durchsichtiger Folie gehüllt grinsend in der Ecke beim „Sammler“. Der Mann ohne Hemd nimmt keine Notiz von ihr, auf den Bordsteinkanten sitzt immer wieder jemand zum Rauchen oder für eine Pause. Sie muss sich beeilen, die Zeit drängt jetzt, zu spät kommen mag sie nicht. Aber es gibt einfach zu viel zu Entdecken.

Wo Wege vorgeschrieben sind bleiben Entdeckungen aus.

Erhard Horst Bellermann

Zurück auf der Hauptstraße des Quartiers schreitet sie schnellen Schrittes an den gelben Straßenmarkierungen entlang. In einem der immer geputzten Autos spiegeln sich die Häuser und es scheint sie fliegen dem Himmel entgegen. Stundenlang könnte sie diese Suche nach außergewöhnlichen Blickwinkeln fortsetzen. Der blank polierte Schmetterling ziert die Hauswand eines Restaurants. Er lacht jedesmal, wenn sie ihn sieht. Vielleicht freut er sich, dass ihn jemand bemerkt. Durch die netzförmige Markise eines Geschäfts fühlt sich ihr Blick wie der einer Fliege an. Und der große weiße Teddybär im Minilädchen versteckt sein Gesicht noch immer hinter einer Maske, genau wie sie und die einfach achtlos Weggeworfene vor dem Modeladen hat sich gut getarnt in der Farbe der Fassade. Es kommt ihr so vor, als ob die Pflanzen denen auf den Kacheln gedruckten nacheifern wollen. Wenn die Laternen des Vietnamen ihren Kopf umwirbeln ist sie fast angekommen. Sie freut sich schon ein bisschen auf den Heimweg nach der Schule.

Es kommt nicht darauf an, von welcher Straße Du kommst, denn die Richtung Deines Weges bestimmt, wo Du ankommen wirst.

Aus China

Auf der Suche nach …

… Weihnachtsstimmung? Rot? Dem Foto des Jahres? Hoffnung? Ablenkung? Geheimnissen? Abstraktheit? Perfektion? Kleinigkeiten? Dem großen Ganzen? Wünschen? … vielleicht einem bisschen von Alldem?

Neue Eimer braucht das Land – heute in rot und blau zur WAHL

Man trifft sich. Mittendrin. Trubel und Geschäftigkeit. Dazwischen stehen und sehen. Aufnehmen. Festhalten. Diese eine Sekunde. Genau jetzt. Weil es beide fasziniert. Immer wieder. Jeder Augenblick ist anders. Keiner lässt sich zurückhohlen. Eingefangen für heute.

Schmuckstück – wer dreht hier am Rad?
Dauerglanz – Eleganz – Tanz der Religionen

Im Tempel finden sich Gottheiten, es scheint sie üben sich im Yoga. Vielleicht vor Langeweile. So wenige Besucher momentan. Die Göttin des Mondes betrachtet sich selbst im Mondspiegel und findet sich schön. Der Sonnengott nebenan tobt über ihre Koketterie.

Geheime Zeichen
Zeitlupenyoga
Ich bin die Schönste im ganzen Land.
Mir gehört die Sonne.
Goldrausch
Windspiele

Kein Lüftchen weht, die roten Lampions lässt die Kamera wie im Wind wehen. Die Stadt ist ein heißes Pflaster. Temperaturmessung aller Orten. Wer zu heiß ist, bleibt lieber draußen. Man kühlt sich bei Eiskaffee unter der Balustrade. Licht und Schatten spielen ihre Spielchen mit ihnen.

Kreise aus Licht und Schatten
(Auto)nomie
Rosenrot
Nr. 75
Bruderschaft
Konformität

Kulturenmix in Chinatown. Das chinesische Jahr des Ochsen steht in den Startlöchern. Merry Christmas belebt vorab das Geschäft. Verlockungen an jeder Ecke. Dekoration in Hülle und Fülle. Rot geht immer, egal ob Christ oder Buddhist. Glück und Liebe, brauchen alle.

Die Langsamkeit der Geschwindigkeit entdecken.
Weltweites Imperium
Edward mit den Scherenhänden
Santa Cool
Rot als Glücksbringer
Auswahl muss sein.

Gekauft wird was gefällt, geliefert was bestellt. Begegnungen nur im Sekundentakt. Stehen bleiben heute nur die Fotografinnen. Im Rausch des Glücks, sich diese Zeit genommen zu haben. Seelenverwandtschaften sind ein Geschenk des Himmels.

Zwillinge
Explosive Stimmung
Ausverkauf
Blaurock
Gegenverkehr
Tanz des Lichts