Ein letzter Tanz

Heimlich hatte sie sich davon gestohlen, hastig einige Sachen in die Tasche geschmissen, die schweren Boots angezogen und war losgefahren. Ein letztes Mal wollte sie dem alten Haus Leben einhauchen. Abschied nehmen von jedem einzelnen Zimmer. Über die Böden laufen, die bald nur noch Staub und Sand sein werden. Aus allen Fenstern in die Ferne blicken und dabei den Wind in ihren Haaren spüren an diesem warmen Sommertag.

Du bist in mein Herz gefallen
wie in ein verlassenes Haus.
Hast die Türen und Fenster weit aufgerissen.
Das Licht kann rein und raus.
Ich hatte doch schon meinen Frieden,
aber du bist so ne laute Braut.
Du hast mich wieder ausgeschnitten
aus meiner dicken Haut…

„Linda“ von Gerhard Gundermann

Das Kleid streifte sie sich schnell über und schaute ein letztes Mal in den schon verblassten Spiegel des winzigen Bades. Wie liebte sie diese hellblauen Fliesen noch immer, der Duft ihrer Seife stieg ihr in die Nase. Hier wird keiner mehr im heißen Dampf der Dusche stehen, sich keiner mehr in der Wanne für ein paar Minuten ans Meer träumen. Noch einmal tauchte sie den Raum in ein sinnliches Licht.



Es gibt keine Türen mehr, die Tapete hängt in Fetzen herunter, ein paar Vögel haben sich hier ihr Sommerquartier eingerichtet, es ist leise – keine Stimmen sind zu hören, nur die Wände sprechen noch. Geschichten, die hier spielten, die nun in den Erinnerungen der Menschen weiterleben.

Wir fliegen beide durch die Nächte,
segeln durch den Tag
Am Anfang war ich sicher,
daß ich sie nicht mag
Sie hat so breit gegrinst,
doch ihr Blick war wie durch Glas
Ihre Sätze wie Torpedos,
und jedes Lachen saß
Du bist die Tänzerin im Sturm
Du bist ein Kind auf dünnem Eis
Du schmeißt mit Liebe nur so um dich
Und immer triffst du mich .

„Die Tänzerin“ von Ulla Meinecke

Die Lieder im Ohr, die hier gesungen und zu denen getanzt wurde bis spät in die Nacht. Die Lichter der Nacht sollten ein letztes Mal leuchten, auch wenn sie keiner mehr sieht. Auf der alten Treppe, die zum Dachboden führte, fielen jetzt Sonnenstrahlen. Früher traute sie sich selten in die Dunkelheit dort oben. Versöhnte sich dieser Platz in diesen Stunden mit ihr?

Über mich hab‘ ich heut‘ schon viel nachgedacht
Über mich, über mich, über mich
Ich kann nicht behaupten, es hätte mir
Erkenntnis gebracht
Quer über die schneeweiße Decke
Geht ein Riss wie ein Haar so fein
Den habe ich da nie bemerkt
Soll er mir ein Zeichen sein
Dann greif ich a-Moll, das Klavier ist verstimmt
Ich bin es wohl auch
Meine Küsse sind bitter, mein Lächeln verlogen
Und kalt ist der Abendhauch

„Abendhauch“ von Tom Schilling & The Jazz Kids

Dem Himmel wird sie heute nicht näher sein können als hier oben. Das Wolkenspiel, der Wind und das Gefühl von Freiheit lassen eine Gänsehaut auf ihrem Körper entstehen. Abbruch, Aufbruch. Sprung ins Neue. Keine schlechte Idee. Der letzte Tanz hier war einer der Schönsten.

Model: Lara (Dankeschön!)