Geisterhaus

Ein kalter Lufthauch weht durch das Treppenhaus des seit Wochen unbewohnten Hauses. Es liegt am kleinen Bach, direkt in der Ortsmitte, verwaist, still, Grafitti ziert einen Teil der Außenfassade, das Leben im Haus ist tod. Container stehen vor den Hintertüren, Dreck, Schutt und Glasscherben liegen auf dem Boden davor verstreut. Das goldene Türschild der KROHNE glänzt schon seit Jahren nicht mehr.

Und dann sitzt sie plötzlich da, auf der alten Holztreppe, die in das obere Stockwerk führt. Keiner hat es bemerkt, wie sie unbemerkt durch den offenen Türspalt geschlüpft ist.

Ein wenig Wehmut liegt auf ihrem Gesicht. Häuser zu verabschieden steht nicht ganz oben auf ihrer Aufgabenliste. Es ist immer mit Schmerz verbunden, gleichzeitig mit schönen Erinnerungen, an die wilden lebensfrohen Zeiten in den Mauern. An die Kinderstimmen, die Lieder, die Geräusche und die himmliche Ruhe dazwischen.

Alle Türen stehen offen, in einigen Zimmern finden sich noch Besitztümer der letzten Bewohner. Die werden bald verschwunden sein, verkauft, verschenkt, vererbt oder entsorgt. Zur Sicherheit hat sie den Schlüssel dabei, der öffnet jede Tür. Nicht lange Trübsal blasen, die Neugier ist geweckt.


Symbolum

Des Maurers Wandeln,
Es gleicht dem Leben,
Und sein Bestreben,
Es gleicht dem Handeln
Der Menschen auf Erden.

Die Zukunft decket
Schmerzen und Glücke.
Schrittweis dem Blicke,
Doch ungeschrecket
Dringen wir vorwärts,

Und schwer und ferne
Hängt eine Hülle
Mit Ehrfurcht. Stille
Ruhn oben die Sterne
Und unten die Gräber.

Betracht sie genauer,
Und siehe, so melden
Im Busen der Helden
Sich wandelnde Schauer
Und ernste Gefühle.

Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
»Versäumt nicht zu üben
Die Kräfte des Guten.

Hier winden sich Kronen
In ewiger Stille,
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen!
Wir heißen euch hoffen.«

Johann Wolfgang von Goethe
(1749 – 1832)

Gekocht und gespielt wird hier nie mehr, die letzten Tage der KROHNE sind gezählt. Alles muss raus, bevor die Bagger anrücken und den vielen Staub der letzten Jahrzehnte aufwirbeln lassen. Den Gorilla könnte sie retten, ihre Armee der verwaisten Kuscheltiere ist bereits riesig.

Und dann hängt dort dieser Mantel am Schrank, giftgrüner Filz, schwer und trotzdem irgendwie elegant. Genäht Anfang der 70er Jahre von der Cousine. Felia lebte in Avignon. Sie verschenkte ihn nach Deutschland. Ihr Vater war Jude und überlebte wie Millionen Andere den Krieg nicht. Er starb im Konzentrationslager. Die Tochter hatte keinen Vater mehr, die Tante keinen Mann. Der eine fehlte für immer. Der Mantel bleibt. Der muss erhalten und die Geschichte um ihn weitergetragen werden. Sie wird ihn mitnehmen, er bietet immer das perfekte Versteck. Sie liebt Versteckspiele.

Wir können die Zeit nicht aufhalten, indem wir die Uhren verstecken.

© Walter Ludin

Immer neue Räume findet sie beim Spiel durch das Haus. Ungestört, gehört, unerhört, heute ist alles möglich, nichts verboten, keiner fühlt sich gestört. In vielen Ecken des Gemäuers bröckelt bereites der Putz, das Haus leidet, stirbt einen langsamen Tod. Noch bieten die Fensterscheiben Schutz vor Wind und Regen. Noch gibt es Türen zum Öffnen und Schließen.

An den Wänden findet sie alte Zeitschriften unter Schichten von Tapete. Wer diese hier wohl vor ewigen Jahren angeklebt hat? Am liebsten würde sie diese konservieren, lesen was damals passiert ist. Es ist zum Haare raufen. Dauernd diese Abschiede in verlassenen Gemäuern. Sie muss nach einer anderen Aufgaben fragen für das nächste Mal. Aber der Dachboden!!!


Hier findet sie immer die schönsten Schätze. Hier werden die Sachen gelagert, die unten in den Kammern und Zimmern keinen Platz mehr fanden. Von denen sich die Besitzer nicht trennen mochten, die eine Bedeutung hatten, Erinnerungen an frühere Zeiten bewahren sollten. Sammelsurium der Illusion eines ewigen Lebens? Der Schlüssel passt, welche Freude strahlt über ihr Gesicht. Noch ein vergessenes Plüschtier, der alte Panda mit den blauen Augen würde sicher Freunde finden in der Sammlung. Das hübsche Täschchen, wer es wohl einst zum Tanz ausgeführt hat? Und in den Schulheften zu lesen ist jedes Mal aufs Neue spannend. Die Stunden vergehen, ohne das sie es bemerkt, versunken im Stöbern.

Auf dem Dachboden

Abgelegtes Leben
zwischen gurrenden Tauben.
Schlafende Kleider
in vergessenen Schränken.

Stillschweigende Mandolinen
spinnfädrig umwebt.

Nur Sonne sich drin verirrt
und
meine Füße
bilden Spuren
dort im Staub.

© Silke Busch

Auf dem Spitzboden direkt unter den Dachziegeln drängen die letzten Sonnenstrahlen des Tages herein. Zeit zum Aufbruch, zum Lebewohl sagen. Vergesst sie nicht, die Bewohner des Hauses an der Ecke. Lasst die Erinnerungen immer wach bleiben und staunt über das Neue, was bald entstehen wird an dieser Stelle. So plötzlich sie erschienen, so schnell ist sie verschwunden. Wer weiß welchen Ort sie morgen finden mag.

Was du allhie im Geiste bauest oder säest, es sei gleich mit Worten, Werken oder Gedanken, das wird dein ewig Haus sein.

Jakob Böhme (1575 – 1624)