Oktober-Blues

Frau sitzt zu viel, der Schmerz im Kreuz zieht sie nach draußen, in dichtes Blattwerk, vorbei an bereits kahl gefegten Bäumen. Stille, sanfter Nebel, den die immer noch kraftvolle Sonne schnell auflöst und den Sommer nicht enden lassen will. Der Regen fehlt, das feuchte Laub täuscht. Den Blick weit schweifend über das ausgetrocknete Gras, welches sich tapfer und standhaft dem endgültigen Ende entgegensträubt.

Im siebten Himmel malmen die Kühe auf der Weide das letzte Gras zu Brei, ziehen den Abtrieb in die Stallungen im Tal hinaus. Scheinen mit der Natur verschmolzen, jetzt wo nur noch wenige Wanderer die Weide kreuzen und kurz für eine Ablenkung sorgen. Die Blätter kringeln sich ein, als ob ihnen kalt wäre, dabei strömt Wärme durch die Flora, der Winter scheint sich zu verspäten oder fällt gar aus. Die Kühe könnten dann wohl in ihrem für immer verweilen.

Der weißgetünchte Turm erhebt sie näher zum Himmel, gewährt einen Ausblick weit über das Land, dass sich darunter ausbreitet wie ein goldener Teppich mit Motiven aus den Märchen ihrer Kindheit. Wer hat die riesige Fahne angebracht, die weithin sichtbar in der lauen Luft weht. Der König ist nicht zu finden, Jesus lässt all sein Leiden mit frischem Quellwasser von sich waschen. Traum oder Fantasie? Sie sieht was sie fühlt, verschachtelt die Motive zu einem passenden Momentum ihrer Wahrheit.

Das Kettenkarusell wartet in tristem Regenwetter auf seinen Einsatz, auch der Schwan hat noch wenig Ambitionen eine Runde zu drehen. Kürbisse müssen wieder herhalten für Dekorationen, immerhin sind diese wiederverwendbar. Sie mag das Gemüse in all seinen Variationen und Geschmacksrichtungen viel lieber auf dem Teller. Keiner interessiert sich heute für die Mahnwache vor dem Hauptbahnhof, Stuttgart 21. Der Teufel steckt im Detail und trägt heute Frack. Denn fertig wird es erst 25 sein, das lange Warten muss sich lohnen.

In Kaufrausch verfällt heute niemand, Montage sind die Tristesse par excellence. Da rührt auch eine leere Tüte keine Werbetrommel mehr. Im Warmen diskutieren Geschäftsmänner die Profite bei Import von Wärmepumpen aus Asien. Droht ein kalter Winter? Noch sieht es nicht danach aus, aber vielleicht rüttelt ein Wintersturm die Nation so richtig durch. Ob das hilft bleibt abzuwarten.

Bis dahin nehmt Platz am gedeckten Tisch, lasst euch von Musik berauscht vom Frühling träumen. Das Gras wird wieder grün emporkriechen, die Kühe auf ihre Weiden und Wiesen getrieben, die Sonne unermütlich strahlen. Keine Anklage, nur Anstoß zum Nachdenken.

Groß ist die Macht der Gewohnheit.

Lateinisches Sprichwort

Gewohnheit wird durch Gewohnheit überwunden.

Thomas von Kempen

Doppelbelichtungen Schwarzwald, Schwäbische Alb und Stuttgart, Oktober 2022